DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1901)
DOI Artikel:Avenarius, Ferdinand: In letzter Stunde
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0061
„Nach Maßgabe dieses Gesetzes", so hcißt's im ersten Paragraphen
des neuen Urheberrechtsentwurfs, „werden geschützt: s. die Urhebcr von
Schristwerken und solchen Vorträgen oder Reden, welche dem Zwecke der
Erbauung, der Belehrung oder der Ünterhaltung dienen"'. Von den
Unterhaltern wollen wir einmal absehen. Die aber, die erbauen und
belehren wollen, wovor werden sie geschützt? Davor, daß sie auch da
noch erbauen und belehren, wo das ihnen kein Geld mehr ein-
bringt!
Bin ich so lästerlich verblendet oder scheint mir's mit Recht so,
daß dieser Paragraph dereinst die ganze Tragikomödie unserer Geistes-
wirtschaft zum Erbarmen lächerlich belcuchten wird? Wir haben Kennt-
nisse und Gedanken und können sie weitergeben, daß unsre Mitmenschen
davon lernen, thun wir's aber, so müssen wir's wieder hemmen, damit
wir davon auch Geld bekommen. Wir haben starke, freudige Gefühle,
religiöse Gefühle, erbauen wir aber damit, so müssen wir ängstlich sein,
daß sich ja keincr daran erbaue, der nicht durch so und so vicl Zahlung
dazu „berechtigt" geworden ist. Wir arbeiten, wie kaum eine Zeit vor-
her, um geistige Güter zu gewinnen, unsre Technik, unsre Wissenschaft,
unsre Kunst gräbt und erhebt, häuft und eröffnet, erobert und entdeckt,
dann aber umgittern und ummauern wir, was wir ausbreiten sollten
über alles Land. Denn für Körper- und Geistesgut gelten uns die-
selben Grundsätze, während doch nur körperliches Gut durch die Teil-
nahme von Vielen schwächer wird, geistiges aber stärker, denn geistiges
Gut ist Saat. Was schiert es uns, daß die Accker fruchtbar daliegen,
die Korn so gut bringen würden wie Unkraut? Wir lassen sie dörren
oder lassen sie wuchern, womit sie mögen, während das geistige Korn,
wohl umrechtet und „geschützt", vertrocknen oder verschimmeln mag.
Nun stehn wir vor Abschluß und Annahme des neuen Urheberrechts-
entwurfs. Wann sicht man endlich diese Seite des Urheberrechts?
Man hat durch tausend Zeitungen ausgerufen, es entlohne den schaffcn-
Unnüwart 2. Aprilheft ^yo;
»s —
des neuen Urheberrechtsentwurfs, „werden geschützt: s. die Urhebcr von
Schristwerken und solchen Vorträgen oder Reden, welche dem Zwecke der
Erbauung, der Belehrung oder der Ünterhaltung dienen"'. Von den
Unterhaltern wollen wir einmal absehen. Die aber, die erbauen und
belehren wollen, wovor werden sie geschützt? Davor, daß sie auch da
noch erbauen und belehren, wo das ihnen kein Geld mehr ein-
bringt!
Bin ich so lästerlich verblendet oder scheint mir's mit Recht so,
daß dieser Paragraph dereinst die ganze Tragikomödie unserer Geistes-
wirtschaft zum Erbarmen lächerlich belcuchten wird? Wir haben Kennt-
nisse und Gedanken und können sie weitergeben, daß unsre Mitmenschen
davon lernen, thun wir's aber, so müssen wir's wieder hemmen, damit
wir davon auch Geld bekommen. Wir haben starke, freudige Gefühle,
religiöse Gefühle, erbauen wir aber damit, so müssen wir ängstlich sein,
daß sich ja keincr daran erbaue, der nicht durch so und so vicl Zahlung
dazu „berechtigt" geworden ist. Wir arbeiten, wie kaum eine Zeit vor-
her, um geistige Güter zu gewinnen, unsre Technik, unsre Wissenschaft,
unsre Kunst gräbt und erhebt, häuft und eröffnet, erobert und entdeckt,
dann aber umgittern und ummauern wir, was wir ausbreiten sollten
über alles Land. Denn für Körper- und Geistesgut gelten uns die-
selben Grundsätze, während doch nur körperliches Gut durch die Teil-
nahme von Vielen schwächer wird, geistiges aber stärker, denn geistiges
Gut ist Saat. Was schiert es uns, daß die Accker fruchtbar daliegen,
die Korn so gut bringen würden wie Unkraut? Wir lassen sie dörren
oder lassen sie wuchern, womit sie mögen, während das geistige Korn,
wohl umrechtet und „geschützt", vertrocknen oder verschimmeln mag.
Nun stehn wir vor Abschluß und Annahme des neuen Urheberrechts-
entwurfs. Wann sicht man endlich diese Seite des Urheberrechts?
Man hat durch tausend Zeitungen ausgerufen, es entlohne den schaffcn-
Unnüwart 2. Aprilheft ^yo;
»s —