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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 14 (2. Aprilheft 1901)
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Avenarius, Ferdinand: In letzter Stunde
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0062

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den Geist gerecht. Das ist gerechte Entlohnung, die sür die Menge
breit getretene Gedanken hundertmal höher entlohnt, als die Gipfel-
feuer des Geistes, die ins Dunkel der Zukunft leuchten? Das gerechte
Entlohnung, die nach dem Marktpreis bezahlt, der für die Dreierkerze
höher ist, als fürs Sternenlicht? Das gerechte Entlohnung, die zum
Millionäre macht, wer zu Theater- und Romansuppen ein paar Gedanken
dessen verwässerte, der bei seinem Reichtum darben und dessen Reichtum
selbcr bei diesem Darben kümmern mußte? Eine köstliche Gerechtigkeit,
diese Gerechtigkeit nach den Marktpreisen! Dreißig Jahre nach dem Tode
aber erlischt diese Gerechtigkeit: wer sürs heute schrieb, der hinterließ
dann längst die Schäfchen im Trocknen, wer für morgen schrieb, für
das Morgen, das jetzt vielleicht endlich beginnt, ei nun, mit dem machen
Verleger und Direktoren von nun ab Geschäfte, die Seinigen aber sind
ja mit dem Dabeistehn und Zusehn in Nebung.

Und wieder: ein Glück, daß endlich nach dreißig Jahren das Erbe
frei wird! Denn was das Nrheberrecht verteuert und zurückgehalten hatte,
nun endlich kommt's doch wenigstens ins Volk. Verzwanzig-, verhundert-
sacht wird seine Verbreitung; jeder Herausgeber billiger Büchersolgen be-
stätigt's; es ist, als wenn jetzt erst der Geist des Verstorbenen wahr-
haft zum Leben käme. Bisher schlief er, traumredete er, jetzt wird er
wach . .. man denke, wie's mit Hebbel ging. Wach schon — ist er aber
noch frisch? Nein, das wäre zu viel verlangt, wenn seine Werke dank
dem Nrheberrecht drei Jahrzehnte lang abseits gelagert haben.

Gegensätze und Widersprüche — gibt's einen Ausweg?

Das Urheberrecht in Ehren trotz alledem! „Die wirtschaftliche Neber-
macht ist stets auf der Seite dessen, der dem andern Vorteile zu bieten
vermag und der gesuchte Teil ist", so sagen die Buchhändler in einer
Eingabe sehr richtig, und fahren fort: „Schriftsteller, deren Werke be-
gehrt werden, die geschäftliche Erfolge versprechen" könnten ihre
Bedingungen stellen. Wer zu den Pfadfindern gehört, dem zunächst nur
die wenigen folgen, der blcibt also cguavNtö vöAliAevdls. Aber auch er
ist mit dem Urheberrechte noch besser dran, als mit gar keinem, auch er
profitiert wenigstens gelegentlich von diesem Recht, das im übrigen für
Handwerker, Kunsthandwerker und Fabrikanten eine unbestreitbar not-
wendige und als solche gar nicht zu verspottende Grundlage gewerblicher
Unternehmungen bildet. Das ist es, aber es ist nicht mehr. Wir
denken Wahnsinn, wenn wir glauben, dieses Gesetz dürfe für sich allein die
Wirtschaft mit gcistigen Schöpfungen regeln. Denn nichts thut es, nm
Bedingungen herzustellen, die das Entstehen gediegener Geistesarbeit
förderten, nichts, um solchen, die da sind, den Wettbewerb mit dem
Schund zu erleichtern, nichts, um dem Tüchtigen, das da ist, zu helfen,
daß es nun auch wirke. Nichts thut es für den Schöpfer und nichts
thut es für unser Volk. Deshalb braucht's der Ergänzung. Wer
wird das im Reichstag aussprechen und wer wird endlich dem Gedanken
den Körper geben? A.

Aunstwart
 
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