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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 22 (2. Augustheft 1901)
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Göhler, Georg: Enrico Bossi, [1]
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Kalkschmidt, Eugen: Angewandte Kunst im Lichtbilde
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0415

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sie von unsern „vornehmen" Kunstrichtern gern Komödianten genannt.
Mir scheint man in dieser Verurteilung sinnlicher Wärme in der Musik
denn doch zu weit zu gehen und besonders bei der Scheidung von
„geistlich" und „weltlich^ manchmal meistersingermäßig nüchtern zu
verfahren. Bossi hat keine Furcht vor einem wirklichen Licbesduett
und mischt auf seiner Palette alle Farben zu einem glühendhellen Bilde
orientalischcr Leidenschaftlichkeit. Den Text hat er jedenfalls bci einer
Kritik dieses Verfahrens für sich und hoffentlich auch alle Kunstfreunde,
die nicht in Stube und Kutte aufgewachsen sind. Denn an der Kunst
versündigt er sich nicht; seine große kontrapunktische Fertigkeit, sein Gefühl
für harmonischen Ncichtum bewahren ihn vor der Banalität der unkulti-
vierteren italienischen Musiker. Das Werk enthält überraschend viel
Proben meisterhaften Satzes und spielender Bewältigung sehr schwicriger
Aufgaben; es zeigt neben dem Einflusse der neudeutschen Kunst die
gründliche Bertrautheit mit dem alten a cappella-Stil und die Kenntnis
Bachscher Polyphonie, ohne daß irgendwo unselbständige Nachahmung
oder Stillosigkeit zu rügen wäre. Wenn der Komponist dankbar für die
Singstimmen schreibt, so ist das kein Wunder. Dafür ist er Jtaliener;
auch den Sinn für Orchesterfarben lernte er wohl im eigenen Lande.
Aber daß er in so großen Linien nach rein künstlerischen Gesichtspunkten
schaffen kann, das hat er doch deutschen Einflüssen zu verdanken. Möge
er diese stets auf sich wirken lassen und mit der Schöpfung weiterer
Werke großen Stils bewcisen, daß er das Wesen der modernen Ton-
kunst vollständig erfaßt hat. Die deutschen Konzertinstitute aber mögen
dieser ersten großen Gabe seincr Kunst die Stätte bereiten, die sie ver-
dient. Sie verdient thatsächlich den Vorzug vor fast Allem, was an
Chor-Werken in neuerer Zeit in Deutschland crschienen ist, weil sie viel
mehr als diese Produkte deutschen Geschäftsgeistcs von dem Glauben an
die große, wahrhaftige Kunst getragen ist, die bei uns zwar geboren,
aber mehr verhimmelt als verstanden worden ist. Man stemme sich
also nicht mit nationalem Dünkel gegen diese neue „Ausländerei",
sondern freue sich dieser Blütc, die sich unter deutschem Geisteshauche
sm alten Lande der Musik erschlossen hat, bis auch bei uns statt der
m Gewächshäusern reichlich gezüchteten Abarten der verschiedenen Passions-
und sonstigen Blumen im Garten eines guten Sämanns, gepflegt von
^icht, Luft und Liebe, wieder eine echte deutsche Blume von jener Art

Lrwachsenist! GeorgGohler.

(Fortsetzung folgt.)

^ngewancite liunst ini Licktbilcle.

Die Thatsachc, daß photographische Aufnahmen mehr als nüchtern
getreue oder willkürlich entstellte Abbildungen, daß sie „Bilder" sein
künnen. ist hier und anderwärts mit Bild und Wort so oft überzeugend
dargelegt worden, dnß ihre Kenntnis bei den meisten Lesern wohl vor-
ausgesctzt werden darf. Heute nun scheint es an der Zeit, zu unter-
suchen, wie die neue und überraschende Erscheinung bisher im praktischen
^eben gewirkt hat, und wie sie weiter wirken könnte zum Nutzen der
allgemeinen Bildung des Geschmacks, der üsthetischen Kultur.

Es ist kein Zweifel, daß grade dort, wo die Kunst in der Photo-
gvaphie sozusagen entdeckt wurde, in den Krcisen der Liebhaber, heute

2. Augustheft
 
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