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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 23 (1. Septemberheft 1901)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0505

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übernachteten ein paar Male. So kamen wir über Querfurt und Artern; und
bei Frankenhausen unter dem Kyffhäuser brach uns einmal das Rad, und wir
wurden in den Graben geworfen. Mein Mann zog mich halb ohnmächtig aus
dem Schlamme; o, ich künnte ihn malen, wie er dann lachend auf dem Graben-
rand stand und mir das Blut von der Stirn wischte; denn ein Glassplitter
von Lem zerbrochenen Wagenfenster hatte mich zu allem übrigen tüchtig ge-
ritzt. »Vive l'empereur!« rief er über das Feld hinaus. »Kümmere dich nicht
drum, Mädchen!« schrie cr. »Die Kürassiere dcr großen Armee und ihre Weiber
müssen was ausstehen können. Vive l'empereur!« — Glaubt aber ja nicht ctwa,
ihr deutschen Stndenten, daß er den alten Babarossa in seinem hcrbstlich ver-
nebelten Zauberberge mit dem Kaiser meinte, den er hochleben lnß. Aber der
Raben flatterten freilich genug über uns, als wir an dem dunklen Nachmit-
tage da an demGrabenrande standen. Bei Sondershausen sah ich die Wipper
zum ersten Mal und hätte auch in ihr, nämlich bei Großen-Furra, ein zweites
kaltes Bad genommen, es ging aber diesmal noch glücklich ab; aber mi
meinen Krästen war ich allmählich so völlig fertig geworden, daß ich wie eine
Tote in meiner Wagenecke lag und nichts mehr von dcm hörte, was mir mein
Mann zusprach. Als er mich endlich doch wieder aufschüttelte, hielten wir
wieder still und zwar hier in Wanza auf dem Posthofe. Sie leuchteten mir
wieder mit der Laterne ins Gesicht, und eS regnete leise. — »Wir sind zuhause,
junge Frau!« ries mein verstorbener Mann; aber ich war nicht imstande,
etwas zu antrvorten. Da hörte ich zum ersten Mal das Horn und die Stimme
Marten Martens. Er rief die zwülfte Stunde und zwar in der Nacht vom
achtundzwanzigsten auf den neunundzwanzigsten September Achtzehnhundert-
neunzehn. Und, horcht, er ruft eben jetzt wieder. Wie spät ist es denn eigent-
lich in der heutigcn Nacht, liebe Jungen?"

RunctsckLU.

Litei-Ltur.

* „Der Tod des Narzissus",
ein dramatisches Gedicht in einem Aus-
zug von Alfred Walter Heymel.
(Berlin,Verlag der,Jnsel" bei Schuster
und Löffler.)

Die Jdee des Werkleins ist eine
ganz glückliche. Gewiß ließe sich der
Mythos vom Narziß gut verwenden,
um cin Spiegelbild von dem Wesen
unsrer modernen Jchvergötterer zu
geben, welche die Erkenntnis, daß
«einzges Glück der Erdenkinder" die
Persünlichkeit ist, dazu ausnutzen, in
diesem ihrem Selbst als Genüßlinge
zu schwelgen, statt im Handeln seine
Kraft zu erproben. Nur ist Heymel
in diesem Werk selber noch viel zu
unklar, um irgend etwas Deutliches
gestalten, etwas Brauchbares geben
zu können. Freilich gibt er dies in
tlunstwart

den Widmungsversen an eine Dame
selbst zu: er hätte scin Poem in einer
Zeit gcschrieben —

Da ich mehr, als ich hatte,
Ausgab und Schnlden machte
Bei dem und jencm Großen.

Als ich die eignen Worte
Noch selber kaum verstand,

Ja kaum zu deuten wußte.

Und er bittet,

Es huldvoll, wie es ist,

Und ohne viel zu denken
Wie einen Wasserfall,

Der schwatzt, sich anznhören.

Mit dieser erfreulichen Selbstkritik
steht's aber doch cinigermaßen in
Widerspruch, wenn er die Erkenntnis
von der Unzulänglichkeit seines Werkes
damit quitticrt, daß er dies unzuläng-

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