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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 22 (2. Augustheft 1901)
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Kalkschmidt, Eugen: Angewandte Kunst im Lichtbilde
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0422

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und wenn sie durch die Anwendung eigener Gesetze zur Lichtbildkunst
geläutert werden kann, sollen wir da nicht sleißig an die sruchtbare
Arbeit gehen? Lugen Aalkschmidt.

Lose )81ä1ter.

Gelllckte vori Knnette von Oros1e-I)i>lskofs.

Vorbemerkung. Wenn wir früher eine Beschäftigung mit Annette
von Droste cmpfahlen, konnte das nie so recht wirkon, denn cs sehlte eine
gute Auswahl aus ihrcn Werken — war doch die verbreitetste daraus so völlig
ohne Kritik zusammengestellt, daß sie thatsächlich die bedeutcndsten Gedichte An-
nettens, z. B. ,Jm Grase", nicht enthielt. Jetzt ist dem abgeholfen. Wilhelm
von Scholz hat cine verständnis- und liebevolle Auswahl aus ihrer Poesie
herausgegeben, er hat auch eine gute Charakteristik dazu geschrieben, und der
Verleger Diederichs in Leipzig hat das Buch aus das Geschmackvollste aus-
gestattet. Die Zeichnungen von Nobert Engels gehören zu dem allerbesten,
was die junge deutsche Buchschmuck-Kunst bisher geboten hat.

Wir haben für unsere Probenlese mit Bedacht die Hochsommerzeit ge-
wühlt. Die Ruhe der Sommerfrische, die Nähe der lebendigen Ilatur erleich-
tern das Eindringen in ihren Geist. Für manche der Drosteschen Gedichte frei-
lich ist dieses Eindringen keineswegs schwer, es ist leicht bei jenen gemütvoll
schildernden Gedichten wie „Das vierzehnjährige Herz", „Die beschränkte Frau",
„Die junge Multer", „Des alten Pfarrers Woche", die unter allen Drostcschen
eigentlich allein einigermaßen „populär" und (z. B. von den Wupperthalcrn)
auch nachgemacht und „verwertet" worden sind. Aber so schönes sich hier schon
findet, üie Größe der Droste ruht nicht darauf, sondern auf ihren rein sub-
jektioen tiefleidenschaftlichen Stimmungsergüssen. Das Eindringen in diese
ist nicht leicht — nein, es gibt keine Dichterin, wer weiß, ob es selbst irgend
einen deutschen Dichter gibt, dcssen Kunst sich zunächst so spröde verhält, wie
die ihrige in solchen Stücken. Dort ringt Annettens heiße Erregung nur nach
Ausdruck, nur nach Darstellung,— die, oft glänzendc, Darstellung ist in gewissem
Sinne zufällig, ihr Fühlen, Denken und Schaun stürmt ohne Rücksicht auf den
Hörer oft sprungweise ohne Verbindungen, hier kaum andeutend, dvrt ganz
übergehend, hier wohl eindringlich verweilend, aber immer ganz allein mit sich
selber und dem Gegenstande beschäftigt und beim Hören alles voraussetzend
dahin. Hat man erst das Verhültnis zur Droste gefunden, dann freilich stört
das alles kaum: es ist eine Kraft des Erhebens, es ist eine Flugkraft in ihrer
Seele, die uns dann wundergleich mit sich trägt. Dieser Frau eignet ein Reich-
tum und eine Kraft der Persönlichkeit, die nicht nur keine anderc lyrische Dich-
terin, sondern die auch von unsern rnünnlichen und münnlichsten Lyrikern nur
die allerersten auf ihrer Höhe gelten läßt. Wer die Droste überhaupt noch
nicht kennt, wolle sich zunächst in das Gedicht „Jm Grase" versenken — er
wird es vielleicht ein paar Mal und in oerschiedcnen Stimmungen lesen müssen,
ehe es all seine Kelche öffnet, es ist aber eines der schlechthin genialsten Ge-
dichte aller Literaturen und wird mit seinem glühenden Fühlen und seiner
leuchtenden Phantasie veranschaulichen, was wir an Annette Droste am meisten
bewundern. Auch sprachlich zeigt dieses Gedicht eine freie Höhe der rhythmischen
Kunst, die nur die Größten erreicht haben.
lkunsrwart
 
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