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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 19 (1. Juliheft 1901)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0312

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herzig auf sie gerichtet waren und sprach >mit einem trockenen Schluchzen:
.Verachten Sie mich — ich habe noch nichts von'Jhnen gelesen — erst hcute

alles bestellt — alles-die sämtlichen Wcrke . . Sie errötete wie zu

sechzehn Jahren, Glutwellen rollten über ihre Wangen.

„Nichts von mir gelesen? — wirklich nichts?" — Charlotte brach in
unaufhaltsames gutmütiges Lachen aus: — „O seligster Zusammenklang, alle
Begrisfe übersteigende Sympathiel Jhr Fall ist auch der meine, auch ich kenne
noch keines Jhrer Prachtbücher . . . nur durch meine Bekannten, denen ich ver-
sprechen mutzte, Sie aufzusuchen, weiß ich von Jhrer Grötze."

„Durch Jhre Bekannten?" — und auch Cäsarine lachte; aber nicht so
unbefangen wie der weibliche Walter Scott.

Sie reichten einander die Hände, und die Hausfrau geleitete ihren Gast
bis zur Treppe. Dann ging sie in ihr Gemach zurück, beugte sich aus dem
Fenster, blickte dem Wagen, der die berühmte Kollegin entführte, lange nach
und dachte:

Es war doch eine schöne Stunde und — wie lehrreich l

Kunctsckau.

LiterLtur.

* Was ist aus Zola gewor-
den?

Zolas „Arbeit", der vier Evange-
lien zweiter Teil, liegt nun vor. *
Wer von dem Verfasser der „Rougon-
Macquard", der sein Leben rastloser
Arbeit weihte und rastlose Arbeit un-
ablässig der Jugend predigt, eine
packende Darstellung der menschlichen
Arbeit, ihrer stärkenden Kraft und
adelnden Würde erwartet hat, der
wird sich enttäuscht finden. Das Buch
ist eine in naiven Utopien schwelgende
Verherrlichung des Fourierschen Sy-
stems, die bis auf einige großzügige
symbolische Szenen nichts von der
einstigen Kraft Zolas zeigt.

Schon lange bevor Parteiinter-
essen Zola in Frankreich „unmöglich"
machten, verziehen ihm viele seiner
Landsleute seine Weitschweifigkeit und
sein künstlerisches Zurückgehen nicht
mehr, während das Ausland ihm stets
in sachlicher Weise gerecht zu werden
suchte und den Jnhalt nicht der Form
willen verwarf. Heute befriedigt uns
der Jnhalt so wenig, datz wir selbst
ihn nicht mehr gegen heftige Angriffe

* Auch in deutscher Uebersetzung,
bei der deutschen Verlagsanstalt in
Stuttgart.

verteidigen können. Blicken wir, zu-
rückschauend, auf den Zola von einst.
Welche Wandlungen haben sich in ihm,
dem Denker wie dem Dichter, voll-
zogenl

Der Schöpfer des Experimental-
romans, der nach den Theorien Taincs
die Natur- und diesoziale Geschichte einer
Familie unter dem zweiten Kaiserreich
geschrieben, die sich bisweilen zu er-
schütternden epischen Gesängen von
den Nachtseiten des Lebens erhob, bis-
weilen in eine Naturgeschichte der
menschlichen Bestie entartete, er offen-
bart sich zunächst als kraftvoll kühner
Schilderer des menschlichen Elends,
als furchtbarcr Ankläger der Gesell-
schaft, als düsterer Pessimist. Aber
sein Pessimismus bleibt thatfreudig,
denn er findet stets die erlösende
Mahnung: Arbeitetl „^llons trLvoil-
ler" rufen sich im „Oeuvrc" die Leid-
tragenden am Grabe dcs gescheiterten
Künstlers zu; die augenblicklich noch
nutzlose Arbeit bietet die einzige Mög-
lichkeit einer künftigen Erlösung des
Menschengeschlechtes. Jm Schlutzstein
der „Rougon-Macquard", dem „Doc-
teur Pascal" nimmt dicse Erlöser-
Arbeit die bestimmteren Formen der
wissenschaftlichen Arbeit an. So leitet

Runstwart

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