Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI issue:
Heft 16 (2. Maiheft 1901)
DOI article:
Henrici, Karl: Ueber die Wahrheit in der Architektur
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0145

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
2>veites Maikekl 1901.

I)eft 16.


14. ?akrg.

^leber ctie Makrbeil in cler Krckileklur.

Mit dem Worte „Wahrheit" ist in der Architektur vielleicht seit
je ebenso viel Mißbrauch getrieben. wie etwas Treffendes, oder auch nur
etwas Bewußtes, Thatsächliches zum Ausdruck gebracht worden. Der
Begrifs „Wahrheit" knüpft sich zunächst an das gesprochene oder ge-
schriebene Wort, mit dem man etwas bejaht oder verneint, je nachdem
ein Geschehnis stattgefunden hat oder nicht, oder mit dem man etwas
Sinnfälliges dem Verstande durch die Sprache vermittelt. Der Wahr-
heit steht die Unwahrheit, die Lüge, gegenüber, mit welcher durch Worte
das Thatsächliche entstellt oder in sein Gegenteil verwandelt wird. Anders
als sprachlich-verwandt, kann der Begriff „Wahrheit" nur bildlich auf-
treten, und nirgends mehr ist dies der Fall als in der Anwendung des
Wortes und des Begriffes „Wahrheit" auf die Architektur. Dies geht
schon daraus hervor, daß die Ansichten darüber, was man unter „Wahr-
heit in der Architektur" verstehen müsse, sehr weit auseinandergehen; es
ist wohl sicher, daß kauin zwei Leute darüber eine genau gleichlautende
Erklärung abgeben würden. Nmsomehr aber, und gerade weil mit dem
Worte so viel Unfug getrieben wird, wäre es wohl der Mühe wert, nach
einer zutreffendenDcfinition zu suchen und zu prüfen, in welchem Sinne und
bis zu welchcm Grade das Verlangen nach „Wahrheit" in der Architektur
berechtigt ist. Aber cine Definition, die kurz und bündig, womöglich in
einem Satze, klar ausdrückte, was in der Architektur Wahrheit oder
was Lüge sei, wird sich überhaupt nicht finden lassen, schon deshalb
nicht, weil bei der unendlichen Mannigfaltigkeit architektonischer Pro-
duktion die verschiedenartigen Produkte und Aufgaben auch zu ganz ver-
schiedenartiger Kritik herausfordern. So wird man z. B. weniger streng
urteilen dürfen über Gebilde, die nur vorübergehenden Zwccken zu dienen
haben, wohin auch manche bescheidenere Aufgaben der bürgerlichen Bau-
kunst zu zählen sind, als über Monumentalbauten, die als Denkmale
für die Jahrhunderte errichtet werden. Ferner gehört die Betrachtung
der rein formalen Bchandlung eines Architekturobjektes in ein andres
Runstwart 2. Maiheft 190;
 
Annotationen