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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 16 (2. Maiheft 1901)
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Bartels, Adolf: Schiller, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0157

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Theatralik dieses Werkes erträgt man, da sie sich eben mit Naturgewalt
Bahn bricht; im Einzelnen dann ist oft eine wahrhaft ergreifende Grötze
(das „So stirbt ein Heldl") neben entsetzlichster Unnatur. Ja, die kühne
Anlage der Kräfte Schillers tritt aus diesem Werke überwältigend her-
vor, und man begreift, wie es ein ganzes Volk erregen und den soforti-
gen Ausspruch cines Kritikers: „Haben wir je einen deutschen Shake-
spere zu erwarten, so ist es dieser" hervorrufen konnte. Aber solche
explosive Jugendwerke tragen das Verhängnis in sich, daß sie nicht zu
übertreffen sind — in gewissem Betracht sind die „Räuber" und ihr
kolossaler Erfolg dafür verantwortlich zu machen, daß Schiller mehr, als
für den Dramatiker und Tragiker gut war, Theatraliker geblieben ist,
wenn auch seine natürliche Anlage hier zuletzt das Entscheidende ist.

Schiller war Negimentsarzt in Stuttgart (ein gut Teil des
Zynismus in den „Räubern" mag man gern auf seinen Beruf zurück-
sühren), als ihn sein Erstlingsdrama zum berühmten Manne machte.
Wir haben Schilderungen dieser seiner Stuttgarter Zeit, die auch sein
Leben als im Sturm und Drange befindlich zeigen, und selbst wenn
dicse Schilderungen, wie man neuerdings annimmt, übertreiben sollten,
so bleiben doch die Gedichte der „Lyrischen Anthologie auf das Jahr
s782" als Zeugnis, daß sein Empfindungsleben von Grund aufgewühlt
und überreizt war. Jrgendwie erfreulicher Natur ist die ganze Jugend-
lyrik Schillers nicht, und zumal die Lauragedichte mit ihrer Mischung
aus überhitzter Sinnlichkeit und übersinnlichen kosmischen Phantasieen,
ihrem Taumel und Schwulst können uns heute nur noch als Eruptionen
eines merkwürdigen Jndividuums interessieren. Schiller, können wir
hier gleich ein für allemal sagen, war kein Lyriker; wo er sich einmal
von der kraftgenialischen Manier frei macht, da verfällt er ins Triviale.
Aber die Größe seines Geistes blitzt gelegentlich auch in der Anthologie
aus, und das eine oder das andere Gedicht, wie „Die Schlacht", erhült
wohl dramatischen Gang. Eine Art volkstümlicher Berühmtheit hat
das große Gedicht „Die Kindesmörderin" erlangt, freilich nur die Be-
rühmtheit des nervenerregenden Schauerstücks. - Als die Stuttgarter
Verhältnisse Schillcrs immer verworrener wurden, und Herzog Karl
Eugen ihm nun gar noch die dramatische Produktion verbot, da erfolgte
die berühmte Flucht. Mit ihr beginnt der große Läuterungsprozeß des
jungen Dichters, der sich freilich, zum Teil unter Not und Entbehrung,
über Jahre hinzieht, aber aus dem stürmischen Jüngling zuletzt doch
einen festen, dem Leben gewachsenen Mann schafft.

Die beiden nüchsten dramatischen Werke Schillers, „Fiesco" und
„Kabale und Liebe", das erstere noch in Stuttgart, das letztere größten-
teils auf dem Gute Bauerbach der Frau von Wolzogen entstanden,
sind noch Sturm und Drang-Dramcn. „Fiesco" ist das erste wirklich
historische Drama Schillers und hat unbedingt großen Stil, auch
theatralisch bemerkenswerte Vorzüge. Es ist im ganzen „bewußter"
als die „Räuber" und tragisch weit schwächer, aber in der Charakteristik
und an Stimmungsgewalt kann es sich mit diesen wohl messen. Das
muß auch von „Kabale und Liebe" gesagt werden, dem ersten und
einzigen bügerlichen Trauerspiel Schillers, das heutc, genau wie Lessings
darauf von starkem Einfluß gewesene „Emilia Galotti", wie ein
historisches Drama wirkt. Wäre es nur in der Motivierung besser!

2. Maiheft zyo;
 
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