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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1901)
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M.: Björnsons "Laboremus"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0239

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auf den schließlichen Knalleffekt losgesteuert wird, das zeugt von dem
Draufgehen eines rücksichtslosen Theaterhandwerksmeisters. Wie aber im
vierten Akt, während in der Ferne eine schwermütige leise Musik er-
tönt, ein Programm sozialer Versöhnungsarbeit entwickelt wird, das
offenbart wohl die guten Absichten des hier recht weichherzigen Politikers
Vjörnson, erweckt aber doch starke Zweifel, ob der. der gute Lehren er-
teilt, sich eindringend genug mit der sozialen Frage beschäftigt hat, zu
deren Lösung er die Fingerzeige geben will. Kurzum, es zeigt sich
schon hier, daß die verschiedenen Kräfte, die in Björnson wirksam sind,
die einheitliche Ausgcstaltung eines Werkcs stören und dem Hörer den
vollcn Genuß verleiden können.

Bei „Laborcmus" nun tritt dies noch schärfer hervor und in
einer für die Bühnenwirkung gesährlichen Weise. Schon deswcgen, weil
sein Stoff dem Publikum weniger leicht zugänglich ist, als der der beiden
ersten Teile von „Ueber unsere Kraft". Denn „Laboremus" gehört zur
Gattung der Künstlerdramen, und obendrein zur Gattung der literarischen
Dramen: zur Gattung der Künstlerdramen insofern, als es das Thema
des Kampfes zwischen künstlerischem Schaffen und Liebesleben behandclt,
Zur Gattung der literarischcn Dramen, als es eine Auseinandersetzung
mit Tendenzen bedeutet, die in der norwegischen Literatur der letzten
Jahre zu Tage getreten sind.

Wer freilich imr den im hcutigen Kunstmarthefte abgedruckten ersten
Akt von „Laboremus" liest, der nur eine Art Vorspiel darstellt, der
wird. von all dem kaum etwas ahnen können. Hier scheint ein ganz
anderes, allgemeineres Thema angeschlagen zu werden.

Man genieße diesen ersten Akt zunächst einmal für sich, losgelöst
von allem anderen — man wird damit einen unvergeßlichen Eindruck von
der gewaltigen dichterischen Kraft erhalten, über die der greise Björnson
auch heute noch verfügt. Der ganze kurze Akt ist nichts als Dialog
zwischen zwei Neuvermählten, der strahlend schönen, jugendlichen Pianistin
Lydia und dem ältlichen Gutsbesitzer Wisby. Am Morgen nach der
Hochzeitsnacht kehrt die junge Frau zu dem ihrer harrenden Gatten ins
Hotel zurück. Sic ist hohen Glückes voll. Sie ist in der Frühe durch
die Stadt gegangen, sie hat mit sich allein sein, über sich nachdenken,
stch in ihrem jungen Glück sonnen müssen. Sie fühlt sich ganz ver-
wandelt. Ein neues Leben ist für sie angcbrochen. Die Unruhe der
Künstlerin, die von Ort zu Oct zog und dem Publikum diente, ist von
ihr gewichen : nun hat sie eincn sichern Hafen, nun wird sich ihre ganze
Persönlichkeit ungehindert entfalten können. Und sie jubelt und kann
stch nicht genug thun, dem Manne zu danken, der ihr dies Glück ge-
schenkt hat, ihn zu liebkosen und ihm zu schmeicheln. Durch ihre süßen
Worte klingt aber ein Ton der Angst, erst ganz leise, dann immer lauter.
Sie hebt so absichtlich hervor, dah ihr Mann nicht erst andere über sie
ausgefragt hat, daß er eines Tages plötzlich von seinem Gute gekommen
ist und sie gefragt hat: „willst du meine Frau werden?" Das sei das
Richtige gewesen: ein neues Leben solle nun für sie bcide beginncn, die
Vcrgangenheit sollc nun hinter ihncn liegen und nicht in ihre Zukunft
hineinwirken. Wir ahnen eine Angst, die auf dem Grunde ihrer Seele
schlummert, und es nimmt uns nicht Wunder, daß sie laut nnrd, sobald
Lydia im Gesicht ihres Mannes einen müden, vergrämten Zug bcmerkt.
 
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