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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 19 (1. Juliheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0318

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* Komponist oder Tonsetzer?

Jn der Leßmannschen Musikzeitung

wendet sich Humperdinck gegen die
amtliche Bezeichnung „Kompoaist" statt
des deutschen Wortes „Tonsetzer". Jn
der Hauptsache darf man ihm wohl
bcipflichten, doch sollte auch bedacht
wcrden, daß beide Namen sich keines-
wegs vollständig decken. Das alte,
deutsche Wort paßt vortrefflich auf die
alten Meister, deren Thätigkeit vor
allem in der Herstellung eineS mehr-
stimmigen Satzes zu einer bereits vor-
handenen, gregorianischen oder volks-
tümlichen Weise bestand. Die Meister
der neueren Musik sind aber ebenso
sehr „Setzer" wie „Erfinder" von Me-
lodien, ja, ihre Erfindsamkeit wird
geradezu zum Maßstab ihrer Bedeu-
tung genommen, darum sagt uns das
Wort „Tonsetzer" in einem wesent-
lichen Punkte zu wenig, kehrt dagegen
anderseits das Technische des musika-
lischen Schaffens zu sehr heroor.
Humperdincks auf ein persönliches Er-
lebnis gestützter Bemerkung über die
Unverständlichkeit des Fremdworts für
das Volk könnte man die Anekdote aus
Haydns Biographie entgegenhalten,
wie ihn, der sich einen »Tonkünstler"'
nennt, der Grenzwächter zu Schär-
ding für einen Töpfer (— Thonkünstlerj
hält. Noch steht der Ausdruck „Ton-
dichter" zu Gebote, der neueren Ur-
sprungs ist und meines Wissens zuerst
von dem Wiener Musikus Mosel ge-
braucht, von Grillparzer bckämpft, aber
oon Beethoven übernvmmen wurde.
Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß
das Wort schon so etwas wie ein
Werturteil in sich schließt, wogegen
„Komponist" ganz unverbindlich den
schaffenden Tonkünstler schlechthin be-
deutet und darum in Verhältnissen,
wo es bloß auf die Urheberschast, nicht
auf deren Wert ankommt, also in Rechts-
sachen, jedenfalls das bequemste ist.

* Zwei deutsche Musikfeste.

Jn den Pfingsttagen sand zu Köln

das 78. Niederrheinische Musikfest statt,
Uunstwart

acht Tage darauf zuHeidelberg die
Tonkünstlerversammlung des Allge-
meinen Deutschen Musikvereins. Der
Charakter beider war völlig verschie-
den. Die Pfingstfeiertage am Rhein
sollen stets ein Fest sein, sie sollen die
außerordentlich hohe musikalische Kul-
tur der rheinischen Städte, die wohl
als die bedeutendste in ganz Deutsch-
land bezeichnet zu werden verdient,
jedes Jahr aufs Neue beweisen, sie
sollen für die Freunde von nah und
fern Tage künstlerischer Erhebung und
Freude sein. Jch finde nichts gerecht-
fertigter, als daß man bei solchen
Festen alles Experimentieren mit neuen
Werken vermeidet. Schon die außer-
ordentliche Menge von Musik — die
Konzerte dauern etwa vier Stunden
mit einer halbstündigen Pause — ver-
langt, daß man nur die allerbesten
Werke zur Aufführung bringt. So gab's
in diesem Jahre am ersten Tag nur
Beethoven,die Ouvertüre zurWeihe
ds Hauses, die ttlissL solemnis und die
Neunte Symphonie. Es war ein vor-
züglicher Gedanke, die drei Werke zu-
sammenzustellen, nicht bloß um die
alle Rivalen schlagende Größc Beetho-
vens einmal mit fast erdrückender
Gewalt zu zeigen, sondern auch um
darzuthun, daß Beethoven auch noch
in der Zeit, da ihn die weltumspan-
nenden Jdeen der Llissa und der
Neunten bewegten, in der Ouverture
den rechten Ton für festliche Freudig-
keit irdischer Natur fand. Mir scheint
das sehr wichtig. Unserer Kunst, die
sich dank weltflüchtiger Entartung an
vcrschiedenen Punkten von der Erde
verlieren und nur die heiligen Gesten
der Weltentrücktheit als wirklich künst-
lcrisch gelten lassen möchte, thut die
Erinnerung daran gut, wie lieb ihre
grüßten Meister diese arme Erde, die
Wirklichkeit und das Leben hattenl
Es ist seltsam, wenn man einmal,
ohne an musikalische, technische oder
Auffassungs-Fragen zu denkcn, nur die
Künstlerpersönlichkeiten auf sich wirken

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