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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 20 (2. Juliheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0353

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auch wenig frommen. Die Ein- ^
heimischen heranzuziehen, schiene uns
wichtiger und lohnender. Freilich
müßte man die Ausdauer haben, auch
sie zu erziehen, also nicht an dreißig '
Tagen niederreißen, was man an
wenigen aufgebaut hat. Das nämlich
ist noch immer die Praxis, auch die
der Hoftheater, die ebcn — dem Himmel
sei's geklagt — auch nicht viel mehr
sind als Geschäststheater mit Sub-
vention und eigener Zensur. Unter so-
thanen Umständen im Zick-Zackkurs
doch von Jahr zu Jahr vorwärts zu
kommcn, hat sich das kgl. Schauspiel-
haus in Dresden immerhin wacker be-
müht. Wenn's leichter wäre, neue
Dichter zu finden, hätte man sogar
zwei oder drei neue gesunden. Aber
es hat mit den Entdeckungen mancher-
lei Bcwandtnis- Otto Ernst, mit der
„Jugend von heute" srisch einsetzend,
enttäuschte mit seinem „Flachsmann",
den Dresden gleichfalls aus der Tause
hob, zwar nicht den Kassierer, aber
seine anspruchsvolleren Freunde. Georg
Erler versprach mit seinen „Giganten"
Hebbel-Jbscnschcr Mischart vielerlei,
doch nichts Sicheres. Fritz Lienhard
blieb mil seinen Dramen „Münch-
hausen" und »Der Fremdling" hinter
seinem Programm und Max Halbe
mit seinem „Haus Rosenhagen" trotz
kräftiger Ansätzc in der Novelle stecken.
Soviel Namen, soviol Versuche aus
eigener Wahl, soviel erfreuliche Ein-
griffe in das von Berlin beanspruchte
Vorrecht. Die „Provinz" sängt in der
That an, sich zu rühren. Den Spiel-
plan beherrschte am andauerndsten
„Flachsmann". Daneben traten die
Klassiker zurück. Jn neuer, von den
späteren Nachträgen und Umwand-
lungen gereinigter Form ward uns der
„Götz" des Goelhe dicsscits von Weimar
gegeben, außerdem in teilweise neuer
Besetzung Antonius und Cleopatra,
ferner von Grillparzer das ganze
„goldene Vließ" und die Komödie:
„Weh'dem,derlügt". Der getreuen, stil-

echten Szene entsprach nicht immer ein
klar durchgebildeter, einheitlicher Stil,
denn nur selten war die volle Muße ge-
boten zu oöllig von Grund aufbauender,
durchgreifenderVorbereitung.Klassiker-
abende sollten nur Feste sein, voraus-
gehen mußten ihnen saure Wochen,
nicht Tage. Betriebsamkeit und Fleiß
ähneln einander, sind sich aber nicht
gleich. Die Grenze ist freilich schwec zu
beobachten, wenn das Publikum immer
Neucs heischt. Erziehung des Pub-
likums auf der einen, Smanzipation
von ihm auf der anderen Seite, das
sind die Aufgaben der Zukunft. Dazu
zu helfen sollte die erste Aufgabe der
Literarischen Gesellschaft sein. Einen
Versuch in dieser Richtung bedeutete
die Aussührung des ersten Teiles von
Björnsons „Ueber unsere Kraft", die
dann auch öffentlich mehrfach wieder-
holt wurde. Die tiefen Gedanken des
Dramas scheinen jedoch hier weniger
Eingang gefunden zu haben, als
anderwärts.

Zum Schlusse gab es noch einen
literarischen Versuchsabend. Jn dem
Schauspiel: „Mutter Landstrahe" (das
Enüe einer Jugend) greift Wilh elm
Schmidt das Thema vom verlorenen
Sohn auf, er schildert aber nur einen
verlorenen, keinen reuigen. Wie er
mit Weib und Kind so ties gesunken,
warum er vom Vatcr keine Ver-
zeihung begehrt, das erfahren wir
nichl. Er kommt von der Landstraße
zum väterlichen Hofe und kchrt zu ihr
zurück. Starr wie der Vater, der ihn
verstötzt, wohl aber Weib und Kind
aufnimmt, bleibl der Sohn- Drei
Akie: Freude und Vertrauen des Heim-
kehrenden, Enttäuschung und langer
Streit, der keinen Teil belehrt, in einer
Sprache von alltäglicher Farbe mit
grellen Lichtern phrasenhafter Poesie,
das Ganze ein Werk eines strebsamen
Jünglings, ohne indioiduelles Eigen-
leben auch nur im Keimen! Die
Poesie aber der Landstrahe, die ein
Spielmann vertritt, verrüt so wenig
2. Iuliheft lgoi
 
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