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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 21 (1. Augustheft 1901)
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Marsop, Paul: Von den Erbfeinden der Bayreuther Kunst: Rückwärts oder Vorwärts?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0366

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mit bäsem Gewissen, an Wagner und seiner Kunst vorbei! Doch es
ist nachgerade Zeit, mit dieser truurigen Heuchelei aufzuräumen. Man
mache unter Wagners Reformwerk einen derben Strich und überlasse
die Szene wiederum etlichen Komödianten, Dilettanten und Jntendanten
zum Zweck der Zusammenrührung einer von höchst melodischen Couplets
überfließenden, mit allem erdenklichen Ausstattungspomp vollgepropften,
von Balletbeinen eingerahmten, russisch-französisch-italienischen über-
lebensgroßsn Unterbrettloper. Oder man beschränke sich im Konzertsaale
darauf, das Andenken der klassischen Meister pietätvoll zu ehren, gebe
auch ein und einandermal jüngeren, ernst vorwärts strebenden deutschen
Tonsetzern Gelegenheit, ihre kompositorische Technik ebendort zu über-
prüfen: wende aber das beste Teil der verfügbaren Kräfte fernerhin an
die Pflege des musikalischen Dramas. Für Ehrliche, Verständige, fein-
fühlig und vornehm Empfindende giebt es kein Drittes. Denn dieses
Dritte hieße: es wird fortgewurstelt. Und das läge nur im Jnteresse
der Unredlichen, der Denkträgen und der Kunstkrämer.

Die Gerechtigkeit erfordert es, zu betoneu, daß sich einige gut
waguerisch gesinnte, ungewöhnlich befähigte Dirigenten „dcr Not ge-
horchend, nicht dem eig'nen Triebe" dem Konzertsaale zuwandten. Sie
hatten ihre Laufbahn als Kapellmeister angesehener Bühnen begonnen.
Aber diese ihre Thätigkeit wurde ihnen gründlich verleidet. Die Theater-
gewaltigen bürdeten ihnen wohl die volle künstlerische Verantwortung
für das Gelingen der von ihnen zu leitenden Vorstellungen auf,
räumten ihnen jedoch nicht die erforderlichen autoritären Befugnisse ein,
schnitten ihnen die Möglichkeit einer gewissenhast durchzuführenden Vor-
bereitung kurz und brutal ab und verweigerten es ihnen vor Allem, vom
Dirigcntenpulte aus die Rcgie zu führen — was Wagner stets ein-
dringlich und mit gutem Bedacht gefordert hatte. So wurden sie ge-
zwungen, sich dcn Lebensunterhalt und die dem ausübenden Künstler
nun einmal unentbehrliche Anerkennung anderwärts zu suchcu. Andere
hielten mit halbem Herzen bei der Oper aus, weil es ihnen unspm-
pathisch gewcsen wäre, mit ihrcr Person Abend für Abend im Konzert-
saal zu paradieren, und weil sie sich nicht darüber schlüssig werden
konnten, welches das kleinere Ucbel sei: sich von eincm beschränkten
Jntendanten, beziehungsweise seinem un- und cingebildeten Vertreter
schulmeistern, oder sich von einem spekulativen Konzertagenten ausuutzen
und übervorteilen zu lassen. Däs Resultat: im Orchester ein ver-
lorenes Bruchstück vom „Kunstwcrk der Zukunft", auf der Szene „große
Oper", Wagner im grcllen Glanze der Prophetcnsonne. Ein gräulicher
Mischmasch. Seit einem runden Bierteljahrhundert wirkt Bayrcuth vor-
bildlich — und wir besitzen ein einziges stündigcs deutsches Theater, in
dem ein Dirigent als frcicr Künstlcr im wagnerischem Smne Orchester
und Bühne beherrscht: das Hoftheater in Karlsruhe. Felix Mottl hült
die Tradition aufrecht. Und München, die vielgetreue Wagncrstadt?
Allen Respekt vor der Energie, vor dem eigenartigen, blendenden, be-
strickenden Regietalente Possarts! Doch mit wie vicl größerem Erfolge
noch würde er seine außcrordentliche Begabung bei der Jnszenierung
des gesprochenen Schauspieles verwenden! Jm Bereiche des musika-
lischen Dramas darf es nur einen Herrn geben: nach dem treffenden
Ausdruck Siegfried Wagners „den mit dem Jnstinkt für die Bühnen-

tlunslwart

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