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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 21 (1. Augustheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0405

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Theater Riemerschmieds in München
gesehen hat mit einem Blick für Echt-
heit, Beschcidenheit und Ueberfülle der
Anregung, die gerade zwischen den
emfachsten Farbcn und Formen sich
geltend macht, dcm wird nicht ent-
gangen sein, datz nirgcnds die Säure
und Bitlernis der Dramcn Björnsons
deutlicher als hier hervortritt in einem
Naum, der junge, frohe, fruchtbare,
nicht „kritischc" Menschen fordert.

Wer dieser begeisterten Ausfassung
uicht beistimmt, der bedenke wohl,
datz wir den Zukunstswert der dar-
gebotenen Werkc mit in Betracht ziehcn
müssen, die beglückenden Perspektiven
und Möglichkeiten, dic plötzlich er-
schlossen sind zum Beispiel durch die
grotzen Wanddekorationen, in denen
Wilhelm von Debschitz einen Rosenhag
entfaltet zum Ausdruck der Kräfte in
Wänden und Bögen- Man zerstöre
nicht sofort das junge Reis der dcutschen
Kunst durch gleichgültige Bchandlung
und kritische Klauberei, und wenn man
nicht das Gegebene kaufen will, so
fordere man etwus Neues, man gebe
Aufträge. Wenn es diesen Künstlern
unter den denkbar schwierigsten Um-
stünden möglich war, das Ueber-
raschendste zu leisten, so mutz jeder
phantasievolle Kopf es sich ausmalen
können, welche Früchte ein willig ent-
gegenkommendes Volk zu zeitigen helfen
würde. Man spreche Wünsche aus,
man formuliere sie, man lerne einen
Entwurf beurteilen und schiebe die
Schuld nicht auf den Künstler, wenn
das in drei Dimensionen ausgeführte
Busset anders aussieht als die zwei-
dimensionale Zeichnung.

Jn der That, es gibt keine Kunst,
die nicht Produkt oder Mittel der
Verständigung zwischen Laien und
Künstler ist. Will man keinen in Ein-
samkeit ausgeklügelten Stil und keine
Nachahmung alterStile, sondern durch-
aus neue Formen, so helfe der Laie
durch Aussprache, datz man die Gegen-
stünde seines Gebrauchs gleichsam
seinem Leib anpasse, dann wird der

Künstler sie seiner Seele anpassen
können. Der Laie fordert das Prak-
tische, der Künstler formt Krug, Tisch,
j Schere, Tasse, Lampe so, daß das
Praktische auch unmittelbar sichtbar
werde. Das zur Sichtbarkeit gereifte
Praktische ist die Lebendigkeit und
Schönheit, ist der unabhängige Stil
dcs Kunstgewerbes. Zu diesem Zwecke
biegt, feilt, schnitzt, poliert man Holz
und Metall und verleiht dem Glase,
dem Teppich eine scheinbar über das
Praktische hinausgehende Form, Farbe
und Ornament, nämlich daß das Spiel
der Kräfte in der Materie erkennbar
werde, ehe man sie mit der Hand zum
Gebrauche anrührt.

Dem bildenden Künstler geschieht
vor einem verstockten Pnblikum nicht
anders als demRedner. Jn München hat
cin neuer akademischcr Verein für bil-
dende Kunst in wenigen Wochen alles,
was Feuer,Jugend, Reife und Hoffnung
in sich trägt zu Reden, Vorträgen und
lebhaften Debatten auf den Plan ge-
rufen. Herrmann Obrist fand einen
erwünschten Kreis, seinen Aufruf zum
Bruch mit der Nachahmung alles
Fremden und Alten und seine For-
derung einer freien, schöpferischen,
deutschen Kunst zur Geltung zu bringen.
Hier konnte man beobachten, wie das
Schweigen der Versammlung einen
Redner wie M. G. Conrad zu Längcn
veranlatzte, wie aber ihre entschiedcne
Teilnahme den Redner zu einer be-
wundernswerten, raschen und sicheren
Explosion hinriß, zu einer Ncde von
seltener Vollendung, Kraft und Tiefe,
in deren Verlauf er selbst das war,
was er von aller Kunst sorderte, ein
neuer Mensch in wuchtiger Gebärde,
Blick, Haltung, Leidenschast. Matz,
Kürze, Stil findet der Deutsche nur
in den Herzen seines Mitmenschen.
Wer also der jungen Kunst Matz,
Kürzc, Stil in noch höherem Grade
wünscht, als sie besitzt, der schenke als
Gönner, Käufer, Auftraggeber ein
Herz, das Anlaß zu geistigen Explosionen
gibt. Lothar von Aunowski.

t. Augustheft tdvt
 
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