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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 22 (2. Augustheft 1901)
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Avenarius, Ferdinand: Zum Falle Geyger
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0408

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aber nicht nur unsere Witzblätter machten Späße über den Streit, als
tourniere da Buschs Maler Klexel um nichts mit Doktor Hinterstich, sondcrn
mit verschwindenden Ausnahmen nahm die gesamte Tagespresse den Fall
nicht viel anders- Oder doch: mit einer höchst merklichen Ausnahme sogar.
Bei Klinger hatte bekanntlich eine Geistreichelei von Reinhold Begas die
Galle zum Uebertreten gebracht: nicht Jurist sondern Künstler, wies er
den Berliner auf die „Testamentskünstler" bei dieser sicher nicht best-
gewählten Gelegenheit hin. Das nahm man ernst, das nahm man
tragisch, wer z. B. das „Berliner Tageblatt" las, das hier wie immer
„führte", dem mußt' es scheinen, als sei neben Klingers empörender
Berlinlästerung alles andre eigentlich nebensächlich. Was that es da,
daß Klinger nach der Entgleisung des hitzigen Führers Zorn mit seiner
Erklärung an die Berliner Künstler den Zug von Beweislast sofort wie-
der auf die rechte Bahn rückte? Es folgte ihm kaum einer dahin; vor
edler Entrüstung über den „frivolen" Angriff auf „die" Berliner hörte
man gar nicht, wovon er in der Hauptsache redete.

Und doch hatte er dies sehr bald so überzeugcnd ausgesprochen,
wie's einer nur thun kann — indem er nämlich die unüberschätzbare
Wichtigkeit wahrhast sinnooller, freier, großherziger Stiftungen für unsre
Kunst mit lebendiger Sachkenntnis schilderte. Was er darüber gesagt,
ist nirgends besprochen worden: es lag ja in dem einen Brenn-
punkt der Sache, nicht irgendwo auf oder auch jenseit der Peripherie,
wie all das, worüber man im Neporterstil schwätzte. Was freilich in
dem zweiten Brennpunkt lag, dazu nahm man gemessen Stellung. Was
lag denn dort? Die Frage, ob es Mannespflicht sei, in solchen Fällen
zu reden, wenn man etwas zu reden hat. Und wie antwortete man
darauf? Ein Berliner Blatt hat das erlösende Wort für alle Genossen
seines Geistes gefunden, indem es von Klinger als dem „redseligcn
Herrn" sprach.

Der „redselige Herr"! Ja freilich; es ist nämlich nicht vornehm,
in solchen Dingen zu sprechen. „Wer die Wahrheit keunt und sagt sie
nicht, der ist fürwahr ein erbärmlicher Wicht" — so heißt's wohl im
alten Studentenliede, wir aber halten's mit dem schönen Spruch „Wer
Pech angreift, besudelt sich", und so ist es ganz klar: wenn Geyger
jene Stiftung wirklich eskamotiert hat und Klinger das wirklich weiß
und beweisen kann, so hätt' er doch ja den Ekel nicht überwinden sollen,
um den Schmutz wegzuschaffen. Die andern hütten ihn ja viclleicht auch
nicht gesehn, und, wenn sie ihn sahen, so wären sie ja wohl fttrsichtig
drum herumgegangen. Wir haben über diesen sublimen Begriff von Vor-
nehmheit schon früher gesprochen, der süß über unserm polemischen
Leben duftet. Kurz gefaßt: das Vertuschen ist vornehm, das Säubern
ist plebejisch. Auch von Klingers „unberufener Einmischung" ist ja die
Rede gewesen. Vortrefflich! Wer einen Gauner ertappt, der prüfe doch
ja, ob er „berufen" ist, sich „einzumischen", sonst trifft ihn der Vor-
wurf, nicht den Gauner.

Jch weise drauf hin, daß ich mit deutlichem Wenn in der Rede spreche:
wenn Gepger so gehandelt hat. Wir haben noch nicht Klingers letzte
Rede und noch nicht Geygers letzte Gegenrede gehört. Wenn aber Geyger,
ob auch nur moralisch, der Gerichtete bleibt, dann ist Klingers Vorgehen
eine echt sittliche That gewesen, nichts anderes- Es ist niemals an-
Runstwart

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