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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 23 (1. Septemberheft 1901)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0487

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Sechstes Kapitel-

Jn diesem Waldgebirge einen Platz zu finden, der zu dem eben angegebenen
löblichen Vorhaben der beiden Freunde ganz genau sich eignete, hielt nicht schwer.
Eckerbusch und Windwebel aber verstanden es vor vielen andern, der cinc als
Gelehrte, der andre als Künstler, die schönsten Stellen aus einem klnssischen
Werke der Natur heraus zu finden. Dicsmal brauchtcn sie kaum umzublättern. —

Die Heide blühte!....

Auf einer sanft ansteigendcn Waldblöße, rings umgeben vom dicht von
niederm Gebüsch durchwachsenen Hochwald, fanden der Konrektor und der Zeichen-
lehrer mehrere behaglich zum Sitzen einladende Baumstumpfe und — in der
blühenden Heide — allerlei Zeichen: zerknitterte ältere Zeitungsblätter und
rotbelackte Pfröpfe, dic darauf hindeuteten, daß schon einmal Leute hier „einen
vernünstigen Gedanken" gehabt hatten.

„Wissen Sie wohl noch, wie wir zum letzten Male hier saßen?" sragtc
der Konrektor, und der Kollege wußte es noch, da es kaum drei Wochen her
war. Er lag bereits lang und gemütlich ausgcstreckt in der blühenden Heide,
und da eines der ctwas fettigen Papierblätter ihm ziemlich nahe lag, ergriff
er es mit spitzen Fingern und las:

„Hirtenfelds österreichischer Militärkalender von <8S7 gibt eine Zusammen-
stellung der Verluste der österreichischen Armee im vorigen Jahre. Es betrug
hiernach bei der Nordarmee die Summe der Toten, Verwundeten und Ver-
mißten S2 ?8d, bei der Südarmee 8-t?o Mann, im ganzen "<259 Mann."

Der Konrektor, auf einem der Baumstumpfen sitzend, seufzte, die Rot-
weinflasche zwischen den Knieen:

„Man hat eben in der Welt nichts Ordcntlichcs und Verständiges ohne
den dazu gehörigen Jammer. Lassen Sie den Wisch, Windwebel; und halten
wir uns an den Franzosen, — diesen hier heute! So mir der schreckliche Ares
helse, ich habe doch hoffenllich den Pfropfenzieher nicht vergessen?"

Gottlob war das nicht der Fall, obwohl die beiden Herren auch dann
wohl Rat gewußt hätten, das heißt dem Franzmann „einfach durch Natur-
gewalt" beigekommen wären, das heißt ihm den Hals abgeschlagen hätten.

„Hier haben wir den Moltke l' rief der Konrektor, und der Psropfen wich
verständig der höheren strategischcn Jntelligenz; sowie in diesem Fall ganz
speziell — dem deutschcn Schulmeister.

Der Zeichenlehrer kaute bereits an einer Schinkensemmel.

„Lroüciot, collegL. jovi I^iberatori I" sprach der Konrcktor, durch den
roten Saft dcr Traube die Sonne betrachtend, und sodann dem jüngern Freunde
zutrinkend. „Sie sind ein gut Stück in der Welt herumgekommen, Windwebel.
Sie waren in England —"

„Als Drawingmaster an einem Erziehungsinstitut in Leeds. Das Ver-
gnügen hättcn Sie mal kennen lernen sollen!"

„Sie waren in der Schweiz —"

„Drei Wochen lang mit cincm Schnupfen und ohne vor Nebel und
Regen die Alpen gesehen zu haben."

„Wissen Sie also etwas Besseres, als immer wieder von neuem bei
solchem Wetter wie hcute sich auf einem Flecke gleich diesem niederzulassen?
Fragen Sie nur Neubauer danach. Das ist cin Mensch mit Weltumsegler-
gedanken uno poetischen Flünken, der sich auszudrücken weiß. Er war in Nom,
und hat mehr Glück gehabt als Sie in der Schweiz. Er hat richtig den Papst
gesehen; und wissen Sic, was er mir nculich gesagt hat?"
llunftwarl
 
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