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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 24 (2. Septemberheft 1901)
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Bartels, Adolf: Das Durchdringen der Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0520

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lönnen ohne jede dauernde Wirkung bleiben und selbst wieder völlig ver-
gessen werden; wer durchgedrungen ist, hat damit auch seinen sesten
Platz in der Geschichte und lebt als wichtiges „Glied" der Entwickelung
der Nation fort, auch wenn seine Werke einst veraltct sind. Gewih, die
Literaturgeschichte als Geschichte des Gesamtschrifttums der Nation ver-
zeichnet auch manche reine Erfolgleute, ja, selbst Dichter, die weder
durchgedrungen sind, noch Erfolg gehabt haben. Aber wir täuschen uns
keineswegs darüber, daß das mehr nur zu kuiturhistorischen Zwecken,
um etwa den Wechsel des Geschmacks zu illustrieren, geschieht; sehr wohl
wissen wir die Talente, die mit Notwendigkeit verzeichnet werden, von dem
blotzen Füllsel zu untcrscheiden. Um einBeispiel zu geben: Hippel wird man,
obwohl seine Romane heute kaum noch gelesen werden, gewiß nicht
streichen, dagegen kann August Lafontaine schon jetzt ruhig fehlen, ohne
datz man eine Lücke entdeckte. Es wird eine Zeit kommen, wo man
selbst einen so berühmten Mann wie Kotzebue in einer Geschichte der
deutschen Dichtung ruhig weglassen kann. Dabei braucht man noch
keineswegs die Anschauung zu hegen, daß die wahrhaft Unsterblichen
auf den Nagel des Daumens gehen.

Sehr interessant ist es nun, den Prozeß des Durchdringens eines
Dichters eingehend zu verfolgen. Er gestaltet sich natürlich bei den
verschiedenen Dichtern sehr verschiedenartig, bis zu einem gewissen Grade
aber hat die alte Volksmeinung, datz der Dichter erst nach seinem Tode
berühmt werde, recht. Da mutz man unter „berühmt" aber freilich
„seiner wahren Bedeutung nach anerkannt" verstehen, was jedoch wieder
nicht ausschlieht, datz auch dann noch eine Bekämpfung stattfindet —
nur über das „Hier ist etwas" müssen sich Freund und Feind einig
sein. Unzweifelhast gehört das Kapitel vom Durchdringen zu jedem
Dichterleben, aber genau ist es bisher nur in sehr seltenen Fällen ge-
schrieben worden, was zum Teil an der Lückenhaftigkeit des Materials
liegt, der auherordentlichcn Schwierigkeit, es zu beschaffen. Die Haupt-
quellen sind da — die Geschäftsbücher der Buchhändler, zum Teil also
für die älteren Dichter sicherlich verloren, zum Teil aus geschüftlichen
Nücksichten natürlich noch zurückgehalten. Wützten wir bei jedem Dichter
genau, wieviele Exemplare seiner Werke Jahr für Jahr verkauft werden,
und etwa noch, in welche Gegenden unseres Vaterlandes sie gegangen,
so hätten wir ein ziemlich klares Bild seines Eindringens ins Publikum,
aber so gut ist es uns bisher noch in kaum einem Falle geworden.
Was wir höchstens wissen, ist die Zahl der Auflagen cines Werkes, bci
älteren Dichtungen auch noch die Zahl der Nachdrucke, es ist aber be-
kannt, dah „Auflage" ein sehr unbestimmter Begriff ist, ja selbst die
neuerdings eingeführte Bezeichnung „Tausend" gilt in eingeweihten
Kreisen nicht immer für ganz einwandfrei. Allein auf die Geschäfts-
bücher der Buchhändler angewiesen sind wir nun freilich nicht, auch die
Schriften über die Dichter, die Aufsätze und Kritiken über sie in den
Zeitschriften, ja die blotze Erwähnung ihres Namens geben Maßstäbe,
wie es mit ihrem Durchdringen steht. Man mutz da allerdings wieder
die Erwähnung zu Neklamezwecken und die sachliche Erwähnung unter-
fcheiden, im ganzen aber kann man sagen, dah jeder, der das literarische
Leben seiner Zeit genaucr verfolgt, nach und nach einen ziemlich richtigen
Eindruck über die Stellung jedes Dichters in seiner Nation empfängt.
Auch Erfahrungen von Person zu Person spielen da natürlich mit. Für

2. Septemberheft lyot
 
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