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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 13
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0204

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genauer an, so werden wir bemerken, daß es heute
noch ganz ebenso ist. Ls ist eine Musik sür reiche
Leute, die da gemacht wird, und es ist vornehmlich
die Tochter des Aommerzienrats, welche in chachen
des musikalischen Geschmacks den Ton angiebt. Die
Damen, denen ihre Aüttel und ihre Zeit es erlauben,
sich von den gesuchtesten j)rofessoren, Gesangsmeiste-
riilnen u. s. f. in der Rlusik drillen zu lassen, er-
werben naturgemäß am ehesten Geschmack und Ver-
ständnis für die Leistungen der Oirtuosen und der
modern-virtuosen Roinponisten. Zhre musikalische Ge-
lehrsamkeit flößt nun den weniger gelehrten Tltern,
Anverwandten und Bekannten eine solche Lhrfurcht
ein, daß sie Alle, schon um sich in der gebildeten Ge-
sellschaft keine Blöße zu geben, in Bewunderung und
Verachtung getreulich dem Beispiel der fungen Dame
folgen. So füllen sich die teuren plätze unserer Ron-
zertsäle, so werden die Berühmtheiten geschaffen —
so wird das ungelehrte Genie unterdrückt! Zene Fähig-
keit der Unterscheidung zwischen Lcht und Nnecht,
zwischen formaler Runstfertigkeit und inhaltsvoller
Runst in der Musik, welche ich als für den wahren
Fortschritt allein maßgebend erachte, ist aber bei jenen
ein- und ausgebildeten Dilettanten weit seltener zu
ffnden, als unter jenen ungelehrten Zuhörern, die
die Aiusik nur voll Hingabe auf ihre Lmpfindung
wirken lafsen. Darum kann man unserem musiklieben-
den j?ublikum gar nicht laut genug immer wieder und
wieder zurufen: Laßt Tuch durch Ture Schulweisheit,
durch Lure Achtung vor den großen Namen nicht
die Nnbefangenheit der Lmpfindung rauben, welche
Zhr nnt auf die Melt gebracht habt. Der hohe
Lebenswert der Alusik beruht in der Unmittelbarkeit
ihrer wirkung auf das Gemüt. Fort mit der Geist-
reichigkeit in der Aiusik, fort mit jedem gemischten
Stil! Zede Zeit hat die Runst, die sie verdient —
möge unser deutsches volk sich Alühe gebeil, damit
es sich bald eine ehrlichere Musik verdiene." Al. lV.

* Für die Orcbestervereine legte L. Lsart-
mann ein gutes wort ein (N. Dr. T. 3?). Tr lobt
sie als Vorbeugemittel gegen die j?ianomanie, und
deshalb, weil sie, wie die Gesangvereine, auch die
kleinen Talente zum Nutzen bringen, als dienende
Glieder eines Ganzen. Aber es käme zu ihren Gunsten
noch eine dritte Lrwägung hinzu. „Zm höheren Ton-
sinne ist das Rlavier ein hilfloser Rasten, freilich ein
bequemer Nützlichkeitskasten. was man darauf spielt,
kommt six und fertig heraus; man braucht keine Be-
gleitung, weder an Bässen, noch an Sopranen, jeder
Akkord ist vollständig mit zehn Fingern zu greifen.
Schön — (oder auch nicht schön!) —- aber das alte
wort Abontesquieus trifft hier in neuem Änne zu:
„T^68t le ton qui 5uit lu mu8i<qu6". lVie steht es
damit? wer macht den Ton des Rlaviers? Der
Spieler? der Dilettant? Bewahre: Bechstein, Blüthner
und Apollo haben ihn gemacht, er liegt fertig da,
man drückt auf eine Taste und er kommt. Freilich,
die Tonverbindung und die Art des Anschlags er-
geben noch ein weites Feld für Varianten. Aber u
ist u auf dem Rlavier, ob rein oder verstimmt, die
Taste giebt für bjerrn L. Rronke oder für Lischen
Müller, die inan zum Üben prügelt, just denselben
Ton. Zst das musikalisch? !Vie anders das lVald-
horn, der Gesang, die Geige, die Flöte! lVie viel



haben hier die Finger, der Atem, die Lippen zu thun,
ehe nur ein Ton gelingt! Und welche geistanspornende
Thätigkeit, den Ton zu suchen, zu moduliren, auf zu
hoch oder zu tief zu kritisiren, immer wieder neu zu ver-

suchen., wahrhaftig, das kommt dem Schaffen

schon viel näher als dem öden Rlaviertastenspiel.
Zedes Grchestervereinsmitglied muß höher veranlagt
sein, als der Durchschnittspianist. Und in dieser
seelischen Tonbildnerei liegt ein hoher Reiz der Ulusik."

Mldende Ilnmste.

* Die neue Nicdtung nuserer /Dalerei be-

spricht Tarl Neumann in einer läugeren Arbeit
(j?r. Zahrb. z), die „von moderner Uialerei" über-
haupt handelt. Zwei Tigenschaften sind wichtig für
deren Renntnis und Beurteilung: Sie geht ausschließ-
lich auf die malerische Lrscheinung des Gegen-
stands und sie giebt ihren Leistungen vorwiegend den
Lharakter von Studien.

„Die Uialer pflegten bislang zu unterscheiden
zwischen Studien und Bildern. Nur die ersteren
wurden nach der Natur genommen, da das kompli-
zirte Gefüge einer Romposition Gesetze vorschrieb,
von denen die absichtslose Tinzelerscheinung frei ist.
Lben diese Übersetzung in das Bild scheint eine Trü-
bung des ursprünglichen Lharakters, und es ist nicht
zu leugnen, daß vielfach die bildmäßige Ausführung
hinter dem ersten Natureindruck der ^tudie an Un-
mittelbarkeit zurücksteht. Zst nun aber die Renntnis
und das Verständnis der Natur das Line und Alles,
die unentbehrliche Grundlage und Voraussetzung aller
Runst, so liegt es nahe, sich einstweilen jener Fessel
zu entschlagen, die die Natur in widerstrebende Ver-
bindungen und Veränderungen zwingt. lVozu Rom-
position, wozu Lnnie, wsnn man sie nur mit einer
Lüge erkaufen kann? Dies ist also das Lrnste: Natur
kennen lernen, beobachten, wiedergeben ohne Zuthat,
ohne Absicht, ohne Nücksicht auf ein j)ublikum, dem
man zu gefallen wünschen könnte. Die lVissenschaft
steht leidenschaftslos und selbstlos der Natur gegen-
über, um ihr Dasein, ihr werden und Vergehen zu
erkennen; diese Runft, ebenso selbstlos, will sie mit dem
Auge erobern. wlit einer gewissen Ängstlichkeit sucht
sie alles zu eliminiren, was in die wirklichkeit hinein-
getragen scheinen könnte, was nicht aus der Natur
selbst käme. Die Zeiten sind vorüber, wo man die
Landschaft mit Nlondaufgang oder ^onnenuntergang
malte, wo man Oswald Achenbach bewunderte und
hier in wünchen einen besoriders glutvollen Abend-
himmel einen »Zwengauer« nannte nach dein Waler,
der diese Beleuchtungen mit Vorliebe malte. Nlan
sagt sich jetzt, daß eine solchergestalt romantisch ge-
steigerte Natur das Gemüt zu sehr in wlitleidenschaft
zöge und eine fremde chubjektivität in die Natur
trage, und zieht vor, das Reizlose zu malen, wo
man wirklich andächtig der Natur sich hingeben muß,
um sie zu sehen, wo man nicht von ihr gepackt wird,
sondern wo man sie suchen muß. Ze weniger ver-
führerisch, je häßlicher der Gegenstand, um so größer
der Triumph des Auges, diesem Gegenstand seine
künstlerische Seite abzugewinnen. Das ist der Grund,
warum man auf der Ausstelluug so häufig Rartoffel-
oder Rohlfeldern, wiesen, traurigen Sumpflandschaften
mit weidenstümpfen, Dorfstraßen mit und ohne Regen,

lSö —
 
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