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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 13
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0205

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dann wieder dem grellen, schmerzhaften Sonnenlicht
auf weißen rNanern, auf dem Meeresstrand oder auf
gleichgültigen Menschen begegnete: es handelt sich für
den Maler darmn, das Auge auch für das Schwierige
und Andankbare zu schärfen. — Attt dem Ligürlichen
hat es selbstverständlich die nämliche Bewandtnis.
Zch kann mich einer Atelierszene erinnern, die für
den Laus der Dinge bezeichnend ist. Auf der Staffelei
ftand der Lntwurf eines bsistorienbildes: k^einrich IV.
auf dem IVeg nach Lanossa in einer Sennhütte der
Alpen einkehrend. Nach längerem bsin- und kqerreden
sagte einer der Anwesenden: warum läßt Du Deinen
Lseinrich IV. mit seinem ganzen historischen Plunder
nicht fort und malst einfach eine Sennhütte im Ge-
birg mit den Bauern? . . . ^o typisch dieser Dor-
gang gewesen sein mag, auch darüber find wir jetzt
hinaus; auch die Bauernmalerei ist im chchwinden.
Don Immermanns Oberhof über Berthold Auerbach
zuin Alünchener Theater am Gärtnerplatz mit seinen
oberbayrischen Dolksstücken war das kulturhi-
storische Interesse, das der sich etwas zu zivilisirt
glaubende Städter am Bauern nahm, die bsauptsache.
Die moderne Alalerei hat auch dafür keinen Sinn
mehr; sie sucht nicht das Interessante, Fremdartige
und Anziehende, sondern das Gleichgültige und All-
tägliche. Die Alenschen im engsten Areis des Da-
seins, in allen Berufsarten bei der Arbeit, Ifirten,
Bauern, ^chuhmacher, Segelnäher und Drathbinder,
bei der Lrholung iin Biergarten oder bei der ge-
zwungenen Unthätigkeit des Alters, Ilnglück, Arankheit
und Sterben — das sind die chtoffe, die mit Dorliebe
erwählt werden. Daß gewisse Theinata des Leidens
und Bedrücktseins, ja auch sozialdemokratische Äuße-
rungen mit einem gewissen stofflichen und sentimentalen
Interesse behandelt werden, daß einige Neigung zuin
Aessimismus hervortritt, find Inkonsequenzen, deren
sich einer und der andere schuldig macht. Im ganzen
ist auch hier das Bestreben deutlich, zu lernen an
einfachen und in ihrer Tinfachheit um so schwierigeren
Gegenständen. Nachdem man so lange »aus der
Tiefe des Gemüts« schlechte Bilder gemalt hat, ist die
Neaktion mächtig geworden gegen alles j?oetische,
s)hantasievolle, Glänzende und Bestrickende. Die
Alaler finden in diesen Tigenschaften die Lockrute des
Teufels, der fie aus dem gesicherten Nreis ihrer rein
malerischen Sphäre hinausziehen möchte in ein Nicht-
zubetretendes, wo »der Geist Teufel ist«. Diese Alaler
bieten in mancher bfinsicht wenig, und das j^ublikum
ist unzufrieden mit ihnen. Nlan sollte es ihnen zur
Thre anrechnen, daß fie sich so wenig darum kümmern
und es ertragen lernen, daß ihre werke zunächst nicht
verkauft werden können. Sie spekuliren nicht auf die
Geneigtheit der Alenge; denn fie haben, wenn man
sie hört und fieht, nur eine Geliebte, die Natur.
Sich mit ihr vertraut machen iin Großen und Ge-
ringen, daß sie alle Geheimnisse offenbart (sreilich mit
der Beschränkung auf die malerische Trscheinung),
andächtig vor ihr stehen und um ihre Gunst bitten,
weit weg verbannt der anmaßliche Ge-
danke, als könne anihretwasverbessert
und gemeistert werden, das ist das Glaubens-
bekenntnis des Nlalers neuester chchule. Tr steht vor
der Natur wie der Alinnesänger vor der Trkorenen,

> die er nie ganz zu besitzen hoffen darf, deren Tr-

scheinung und Ligenschaften ihm in tausend Linzel-
heiten tausend Dollkoinmenheiten offenbaren. Menn
man von seinem Bild sagt, es sei intim gesehen, so
ist damit der höchste Grad der Dertrautheit mit der
Natur bezeichnet. Ls soll etwas von dem sein, was
der Lrdgeist Fausten gewährt hat, »in ihre Brust wie
in den Busen eines Freunds zu schauen«. wir wieder-
holen: das Sehvermögen verseinern, darauf geht alle
Bemühung dieser Rünstler, die Sichtbarkeit erobern,
aber auch nur das Sichtbare malen. Daher der
Lsaß gegen das Geistreiche, Novellistische, Lfistorische,
welches alles erst für die Sinne übersetzt wSrden
müßte. Alan könnte einwenden, daß seien Bestre-
bungen, die in die chchule oder in das Atelier gehörten,
die nur die Alaler interessiren, das j?ublikum aber
verwirren und abstoßen, weil es Ltappen sind aus
einem weg, dessen Ziel vielen unklar und auch un-
verständlich ist. bfierauf ist zweierlei zu erwidern.
Trstlich ist es nicht die Schuld der Rünstler, sondern
des ewigen Ausstellungswesens, daß man Dinge vor
die Offentlichkeit zerrt, die noch nicht reif dafür sind,
und so viele Frühgeburten herbeisührt. Zweitens wird
die Zeit jenem Linwand begegnen. Iugend ist ein
Fehler, der sich von selbst korrigirt. — Nnter die
Ausschreitungen, die sich init dem Zustand einer wer-
denden Runst entschuldigen, sällt aus vor allem das
ungebührliche Format so vieler Bilder und die Alenge
der leeren Flächen. Das Gegenteil des borror vucui
ist eingetreten. Diesen Alalern ist alles gleich wichtig.
Hier ist ein Arbeiter in blauer Bluse, der einen Rorb
anf dein Nücken, einen Stock in der bsand, vielleicht
ein Lumpensainmler, schwer in bsolzschuhen die Treppe
hinabsteigt (von chkarbina) — lebensgroß; dort ein
alter Schiffer, der jetzt am ^trand bleiben muß, aus
der Bank sitzt und die bsand mit der stffeife in den
Schoß sinken läßt (vom Grasen Ralckreuth) — lebens-
groß. Rops und Ausdruck, Rleidung, chchuhwerk,
Treppe, Bank, Beleuchtung, alles das steht gleich hoch
in des Nlalers Schätzung, wie bei den Bauern Nlillets
die bsolzschuhe ein integrirender Bestandteil der j?erson
sind. Tr möchte alles gleich gut malen können; denn
es giebt sür ihn in der Trscheinung keine edelen und
unedelen Grgane wie in der Anatomie des mensch-
lichen Rörpers. wenn man sieht, wie Schritt vor
Schritt von dem durch das Auge neuentdeckten Terrain
Besitz ergriffen wird, vergißt man, wie häufig die ge-
ringe Bedeutung des Dargestellten mit dem Format
in widerspruch steht. Das wird fich mit der Zeit
klären. Nicht anders ist es init den leeren Flächen.
Nlancher wird sich aus j?aul Iqeyses Noman »im
radiese«, wo die Runstzustände Nlünchens aus einer
nun überschrittenen Stuse geschildert sind, jenes Tor-
neliusschülers erinnern, der sür sein Leben gern eine
große nackte wand hätte, uin sie mit kfistorien und
geistvollen T>ymbolen zu bemalen. Solche wände und
Fußböden lieben auch die Nlaler der jungen Genera-
tion, aber um sie kahl zu lassen. Zhnen genügt es,
das Licht darüber hinrieseln zu sehen, um in dem
Tinerlei eines grauen Nlauerbewurfs oder roter Stein-
platten die herrlichste Belebung zu finden. Angesichts
einer ärmlichen, kahlen Dachkammer, in der das Ächt
mit der Dämmerung kämpst, rusen diese jungen Nlaler:
kann es etwas Schöneres geben? und wundern sich,
wenn nicht jedermann derselben Nleinung ist. Lfierin

- iss
 
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