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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 18
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0284

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so leicht abzuhelfen. lVir finden unter den werken
unserer Tonheroen einzelne, die den Zweck einer Ltude
völlig ersüllen — warum greist man nicht zn ihnen,
um die Lust und Liebe zur Alusik voll zu erwecken?
Zst es denn nicht entschieden vorteilhaster, anch den
geistigen Gehalt eines Tonwerkes dem Lernenden vor-
zusühren nnd klar zu machen? Zst die Lust und
Liebe, ein Tonwerk zu lernen und zu üben, nicht
nach verständnis des geistigen Gehaltes eine unge-
mein größere? würde der unselige Dilettantismus
nicht mehr und mehr verschwinden? . . . Der Dilettant
mag die Technik handhaben, aber er hat kein Der-
ständnis sür die psyche. Und das erwächst ans der
unvollkommenen, um nicht geradezn zn sagen unver-
ständigen Trziehung. Ls wäre sehr zu wünschen,
daß da endlich gebessert würde. Um nur ein Bei-
spiel herauszunehmen: im ersten Batz der Lonnte
putüstique stecken eine große Anzahl Ttudenelemente
(Festhalten der Linger z. B.), nicht minder i>n ^clnAio.
Und daneben welch' geistiger Gehalt — den die ge-
wöhnlichen Ltnden nicht anfzuweisen haben! Zch
rede selbstverständlich nicht von den Ttnden großer
Uleister, die sa ihren Namen nur tragen, um den
ksörer aus die besondere Schwierigkeit der Ausführung
ausmerksam zu machen.

Uüt den nackten Lingerübnngen ist nicht viel ge-
than, sie ertöteu den Geist, statt ihn zn erwecken.
Ulan studire ein werk eines guten ZUeisters ein nnd
beiiutze die darin enthaltenen Schwierigkeiten nnd
j?assagen zu Übungen — man wiederhole sie ost,
uicht als Übung, sondern als Teile des Ganzen. Man
trage nicht nackte Bausteine zusammen, die in keinem
Zusammenhange stehen, man löse die trlleine ans dem
kunstvollen Gebände, erkläre sie nnd füge sie dann
wieder ein. Tine j?assage als Teil eines Ganzen
interessirt, ich weiß dies ans eigener Trfahrung, den
^chüler mehr, denn als Lingerübung. Und was ist
natürlicher? Zst es nicht beim Sprechenlerncn eben-
so? Morte als Bestandteile einer Trzählung oder
eines Gedichtes lernt der Schüler lieber, als leere
Dokabeln, weil er sich eben ihres geistigen Gehaltes
bewußl wird.

Man kann hier den berechtigten Tinwand machen,
daß der Schüler doch aber erst viel lernen müsse, bis
er derartige ^achen, wie dis Lonnte putlletique nsw.,
spielen könne — das hat seine große Nichtigkeit, aber
auch hier läßt sich viel trockene Theorie vermeiden,
viel geistige Nahrung reichen. Die Lrweckung der
Lmst zum Ulavierspiel ist eine bsauptschwierigkeit des
Rlavier-Unterrichtens. Das Uind mag noch so viel
^ust und Liebe zum Ulavierspielen haben, die ersten
Unterrichtsstnnden ersticken diese Lust und Liebe, müssen
die Lust nnd Liebe ersticken, da das Uind mit Sachen
gequält wird, die ernüchternd wirken. U?ie ist dies
zu verstehen? Die ersten Rlavierstunden sollten nie
einem Rinde allein erteilt werden. Zu zweien oder
dreien lernen sie besser, eifern sich gegenseitig an, sich
so gegenseitig fördernd. U"lan wecke den Thrgeiz in
ihnen, so werden sie sich bald zu übertreffen suchen,
und so das nötige Borergebnis schnell erreichen. Das
^tudium der Noten, der Töne ans dem Ulavier kann
man den Uindern sast spielend beibringen, wenn man
die Notenköpfe und die Töne mit einer Zdee ver-
bindet. Ts muß der Lehrer hisr eben liebevoll aus


die Zndividualität der Lernenden eingehen. ^at man
so die nötigsten Grundelemente beigebracht, gehe man
direkt zn leichten Bonaten von Tlementi oder bsavdn über.
Uwn erkläre und erläutere den Znhalt, spiele vor
und übe die kleinen üände. Ts ist dies keine Un-
möglichkeit, es hat sich praktisch bewährt. Die eiu-
sachsten Läufer usw. wird man so leicht einstudiren
könuen; dadurch, daß das Riud Znteresse am Stück
gewiunt, wird es dies öfter spielen und so das Tech-
nische uebenbei lernen. Das Lrgebnis ist — daß
man auch den Geist gebildet, das ^tilgesühl vermehrt
hat, daß im Rinde das Bewußtsein erwacht, daß Töne
nicht nur Ohrenkitzel, sondern Ausdruck für psychisches
Tmpfinden sind.

Lrst wenn das Uind in klassischer Ulusik gesestet
ist, wenn der Begriff von Stilreinheit in ihm lebendig,
uehme man hier und da ein Balonstück vor; nuu
kanu es nicht mehr schaden und trägt wesentlich dazu
bei, das leichtere, elegantere Spiel zu sördern. Aber
nie nehme man zuerst Salon- oder gar Tanz-Uüisik
(später zur Besestigung des Taktempfindens sehr zweck-
mäßig), das würde das musikalische Verständnis ub
iultlo ersticken, da die Gberflächlichkeit derartiger Uom-
positionen den Sinn sür das bsarmonische abstumpft.

Tbeuso sollte man nicht versäumen, zugleich mit
dem Ulavier-Uuterricht die gruudlegenden ^lusklär-
ungen über üarmonielehre zu geben; das bildet das
verständnis des Lerneuden wesentlich und klärt ihu
über die Lorm aus, wird ihn die Gesetzmäßigkeit der
Umsik verstehen lassen, ein nicht unwesentlicher Fort-
schritt. Ulan glaube nicht, daß dadurch eine musika-
lische Überbildung eintreten wird, Überbildung ist nur
ein IVort sür bsalbbildung in verschiedeneu Fächeru,
und bsalbbildung würde durch obigeu Unterrichtsweg
wegsallen. Auch würdeu sich die Rlavierlehrer uud
Virtuoseu uicht mehreu, im Gegeuteil. Liumal ist
uicht Zedem pädagogisches Talent gegebeu, und
pädagogisches Taleut wird bei derartigem Uuterricht
eutschieden uötig seiu, eiu audermal wird bei Neiguug
der allgemeineu musikalischeu Bilduug das oberffäch-
liche Dirtuosentum mehr uud mehr schwiudeu, da eben
das allgemeiue Verstäuduis Kunstleistuugeu verlaugeu
wird, weil allgemeiu musikalische Bildung au Gber-
ffächlichkeiteu uud hohlem Virtuoseutum keiue Be-
sriedigung mehr finden wird."

HZildeude Ikünste.

» Liuen Bericht über die grapbtseden 'lfüinste
in Deutsedlnnd, soweit sie mit mechanischer
Vervielfältiguug iu deu Dienst auch der bildeuden
Aünste treteu, erstattete Georg Hlrth als eiuer
der Preisrichter der vorjährigeu Atüuchuer Auustge-
werbeausstelluug sür deren Thronik. „Zunächst setzt
jede graphische veroielsältigung, welche auf deu
Naug einer k uustgewerblichen Lleistung Anspruch
macht, eiu küustlerisches Grigiual voraus —
es sei deuu, daß es sich uur um eiue mechauisch-
techuisch volleudete wiedergabe der Natur haudelt,
wie bei der jDhotographie zu mauchen wisseuschast-
licheu Zweckeu usw. Sobald aber bei der bserstelluug
des Grigiuals der «gute Geschmack» irgeud eine
Nolle spielt, kanu vou dessen küustlerischeu (Pualitäten
gesprochen werden. S>o kann z. B. schon eiue photo-
graphische Porträtausnahme durch die charakteristische


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