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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 23
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Kretzer, Max: Objektivität und Subjektivität in der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0361

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T_.


nordischen Dichters das als einen Trinmxch seiner dra-
matischen Technik hinstellen, so wird man es ohne.
weiteres gelten lassen müssen, wenn man aber den
gänzlichen Mangel an Selbstgesprächen als Ausfluß
reinster und größter Obsektivität bezeichnet, so wird
man gerade um dieser Objektivität willen, sobald die-
selbe mit der Dichtung etwas zu thun hat, mit Necht
vieles einzuwenden haben.

Ls ist richtig, was die Nealisten, die sich immer
nur an das wort klammern, behaupten: daß es im
gewöhnlichen Leben keinen eigentlichen Monolog gebe,
es handle sich denn etwa um Geisteskranke, aber die-
jenigen, die davon sprechen, verwechseln zumeist lautes
Selbstgespräch mit Gedankenselbstgespräch, sie ver-
kennen ganz und gar die Absicht des Dichters, im
Monolog der austretenden person nur das laut wieder
zu geben, was in ihrem Innersten vorgeht und was
die geheime Triebfeder zur demnää'st Allen sicht-
baren Handlung ist. wenn die Gedanken die treiben-
den Aräfte aller menschlichen Thaten sind, so ist der
Monolog das Aiittel, um den Zuschauern einen Blick
in die Seele des geschilderten Menschen thun zu lassen,
und da der Gedanke eben so zum Individuum gehört
wie das laute Sprechen, so befleißigt sich gerade der-
jenige Dichter der größten Gbjektivität, der uns nicht
nnr das bereits Gewordene vor Augen führt, sondern
uns auch den Dorgang des allmählichen werdens
übermittelt. Allerdings wird das wiederum eng mit
der subjektiven Auffassung des Dichters zusammen
häiigen; denn es wird ihm unmöglich sein, im Augen-
blick anders zu denken als es der Grübler auf der
Bühne thun soll. Nur so hat er sich die innersten
Beweggründe zur folgenden bsandlung vorgestellt, ge-
rade so würde er zu sich gesprochen haben, — in
(^edanken natürlich — wenn er sich in derselben Lage
befunden hatte, wenn ihm Dies und Ienes gerade so
geschehen wäre. Lr steckt seinen Gedanken- und
Tmpfindungsreichtum in die Lfülle eines Anderen.

Und ist in dein „wlonolog" wirklich etwas, was
mit dem „Nealismus" nichts gemein hut? Wan stelle
sich einmal Folgendes vor: Tin Nlensch hat soeben
etwas erlebt, was ihn sehr bewegt. <§r betritt sein
Zimmer, denn er hat das Bedürfnis, mit sich allein
zu sein und das Für und wider der überstandenen
Situation und der noch zu erwartenden zu erwägen.
Tr geht auf und ab, er setzt sich, erhebt sich wieder.
<Lr faßt Gedanken, verwirft sie wieder, stellt allerlei
Betrachtungen an, die notwendig sind, um seinen willen
zu bestimmen. Alles das wiederholt sich tagtäglich
bei unzähligen Wenschen.

was ist denn dieses Zimmer nun anders, als der
Schauplatz, auf dem sich ein Stück Leben abspielt?
wlan öffne die Schranken, man lasse die Gedanken
laut werden, und die Bühne, deren Bretter leider so
selten die welt bedeuten, wäre fertig. Natürlich in
weiser, künstlerischer Beschränkung gedacht. Aber
muß diese künstlerische Beschränkung, dieses Zwängen
in die Form, das allein Zeugnis für die beherrschende
Rraft des Gestalters ablegt, muß beides nicht bereits
auch beim Zwiegespräch angewendet werden? wo
gäbe es im gewöhnlichen Leben ein Drama, das sich
mit allen seinen Linzelheiten hintereinander in wohl-
erwogenen worten so absffielte, wie auf der Bühne?
wenn also auch hier die höchste Gbjektivität die ist:

aus einem wust von Thatsachen, Schicksalen und wirren
Nedeusarten das Wichtigste und wesentlichste, betrachtet
mit dem Auge des Dichters, geläutert durch seine
geistige und seelische Lmpfindung, herauszuziehen und
in eine gesetzmäßige Form zu bringen, ohne daß das
Ursprüngliche darunter zu leiden hat, und wenn man
das mit dem Nealismus vereinbar fiudet —: so muß
auch das Selbstgespräch als ein notwendiger Bestand-
teil der wirklichkeitsdichtung gelten gelassen werden.
Za, man darf wohl kühn behaupten, daß jede von
einem Dichter geschaffene Gestalt ohne diese laut ge-
wordene Gedankensprache nur als halb gelungen be-
zeichnet werden kann. wenn die wahrheit Anspruch
auf diese Bezeichnung haben soll, so muß sie sich auch
von allen Seiten zeigen können.

wtan betrachte einmal Iago im „Gthello". Ts
giebt kein durchsichtigeres Gebilde menschlicher Schurkerei,
als dieses wleisterstück Shakespearescher Lharakteristik.
wie Zago der Träger der ganzen bfandlung ist, so ent-
wickelt sich alles Böse aus seinen dämonischen Grübe-
leien, die, laut geworden, dem Zuschauer die geheimste
Faser seines Denkens und Tmpfindens enthüllen.
Und nun setze man einmal an Fäelle dieses vorherigen
Bloßlegens seiner schwarzen Seele die sofortige Aus-
führung seiner anderswo als auf offener Szene ge-
schmiedeten jDläne: wie plump, wie halbfertig würde
dann Alles erscheinen, wie unnatürlich würde dieser
Zago wirken, der trotz allen Übeln ein witziger und
geistreicher Uopf ist, dessen Bosheit aus unnatürlichen
Gründen entsteht und der das sein soll, als was Shake-
speare ihn aufgefaßt sehen wollte: ein sympathischer
Schurke.

Bei einer Figur wie Zago braucht denn der Dichter
auch nicht bei einer Frage nach dem „warum" in
Verlegenheit zu geraten, wie es z. B. bei Zbsen der
Fall sein würde, wenn man sich über ihn in eine
prüfende Betrachtung versenkte. Geistreich sein wollende
Rritiker, die im gewöhnlichen Leben sehr schlechte
wlenschenkenner sind, haben z. B. „die Frau vom
Ubeere" für ein epochemachendes philosophisches Drama
erklärt und aus der ü^ldin eine große s)ersönlichkeit
gemacht, ohne zu bedenken, daß Tllida so, wie sie vom
Dichter gezeichnet worden ist, weiter nichts ist als ein
Durchschnittsweib, das wie jedes andere gleichgesinnte
wegen ihres Lsanges am wohlleben den wlutnicht findet,
die letzten Folgerungen ihrer rebellischen Gedanken zu
ziehen. wlan beobachte doch Frauen, die mit dem
Bilde eines Anderen im Herzen sich in gleicher Lage
befinden und von ihren wlännern vor die gleiche wahl
gestellt werden, darauf hin, ob fie nicht vorzögen im
behaglichen Nest zu bleiben, statt einer unbestiinmten
Zukunft entgegen zu gehen. Was bei Zbsen die „Be-
schränkung der willensfreiheit" ist, ist nichts anderes,
als die Wacht der Gewohnheit, die den Nlenscben,
wenn er sich für den üünmel immer daran

erinnert, daß er auf der Lrde zu Ljause sei. Lllida
ist in den ersten Aklen eine tragisch angelegte Natur,
bleibt aber zum Schlusse im j?hilisterkäfig hängen. Zm
landläusigen Sinne, als Alltagstypus, kann sie als
objektiv aufgefaßt bezeichnet werden. Um das aus
ihr zu machen, was man anfänglich glaubt, daß sie
werde: eine, einen großen seelischen Rampf führende,
bemitleidenswerte, an den Folgen eines gegebenen
Versprechens zn Grunde gehende Frau — dazu hätte

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