Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Novellensammlungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0038

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zu ersinnen und alles in guter Sprache vorzutragen weiß, so stehen seine
Erzählungen schon, ohne eben eine große „literarische Bedeutung" zu
beanspruchen, auf einer mit nrehr Kunst und Anstrengung oft nicht er--
reichten Höhe. Zuweilen scheint er rnir seine Sache noch etwas schwer
anzusassen, ein wenig Humor würde vielleicht hie und da Licht geben-
und zuweilen wieder hat er eine Glätte, welche nach tzermann Hesse klingt
und nur Lußeres Gewand ist. Dasür aber fehlt ihm auch Sentimentalität
und Schwerfälligkeit des Anfängertums.

Zum dritten Male in kurzer Zeit begegnen die Kunstwart-Leser nun
dem Namen Iulius Havemann. Nnd es möge das letzte Mal nicht
sein! (Lr bedeutet heute schon eine dichterische Persönlichkeit. Keineswegs
eine vollendete, zur höchsten Kraft gereifte, aber ein künstlerisches Ich, das
aus der Fülle zu schaffen scheint und in Gehalt und Form neue Werte
gibt. Diese „Eignen Leute" sind wirklich, was so selten die Gestalten der
Iüngeren im vollen Wortsinn sind: eigen. Sie bringen sich freilich nicht
gleich immer dem ersten Blick etikettiert dar mit „charakteristischen" Worten
und Wendungen, sie leben ein recht gewöhnliches, schlichtes Dasein, hier
exaltiert, dort ruhig, hier eintönig, dort wechselreich. Aber der Dichter
zögert nur, um uns mit ihnen vorläufig etwas vertraut zu machen, über
kurz oder lang, manchmal erst im letzten Augenblick, öffnet er dann das
Allerinnerste, aus dem all das Leben der Erzählung sich bis dahin ge-
speist hat. Er kennt es bis zu tiefst, er hat starke und gute Worte dafür,
eine vornehme und reichgestalte Weise, es darzustellen und mit Mensch-
tum, mag es noch so verdrückt oder versteckt gewesen sein, schließlich den
Leser zu beglücken. Nur drei Novellen enthält sein Band; jede davon hätte
unter minder überlegenem Arbeiten einen dünnen Roman gegeben. Manch-
mal breitet sich auch Havemann noch wunderlich aus, verirrt sich ins
Nebenbei- aber gelegentlich ist wohl darin mehr Mutwille als Kunst-
irrtum, wie auch die langatmig bizarre Sprache abwechselnd zerdehnt und
fein absichtlich erscheinen mag. An echtem Künstlerblick für Tragik und
Komik der Schicksale und alle Zwischenstufen und Mischungen übertrifft
jedenfalls wohl kaum einer diesen neuen Mann, und daß er werthafte
Stoffe den literarisch reizvolleren, erfolgreicheren vorzieht, sei besonders
vermerkt. Er scheint manchmal „leichte Lektüre" zu bieten, so bewegt, bunt
und abenteuerlich ist die Oberfläche seiner Erzählung. In jedem Fall
aber steckt tiefer in den Werken auch kernhaft Gestaltetes, das oft und oft
anzuschauen und dem nachzudenken sich lohnt.

Vielleicht ist tzavemann einmal durch Raabe hindurchgegangen. Das
ist in Deutschland selten genug, wie wir denn überhaupt heute meist wenig
Beziehung zu den zwei vorangegangenen Geschlechtern fühlen. In Oster-
reich war die Äberlieferung, das zeitliche Gemeinschaftgefühl stärker, und
ein Name ist es vor allem, den mehr als jeder zweite neue Osterreicher
wieder in Erinnerung bringt: Stifter. Franz Himmelbauers Er-
zählungen „Im Stammhaus" bezeugen es aufs neue. Doch soll damit
nicht ein Gedanke an dichterische Nnselbständigkeit erweckt werden, gehen
doch solche Vermutungen meist am Können und Werk des Späteren böse
vorbei. Nur die Gesinnung, die Richtung des Wollens und der alte liebe,
bedächtige Rhythmus der Sprache kann so am leichtesten angedeutet werden.
Das „Stammhaus" suchen, die Geschichte der Vorväter lieben, das launische
Einzelwesen zurückdrängen in sich und als Glied der großen Kette in
Verantwortung sich fühlen, auskosten, was an Gedanken, Dingen, Schön-
 
Annotationen