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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1917)
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Schumann, Wolfgang: Novellensammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0039

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heiten und Merkwürdigkeiten der Lebensstrom mit sich führt, zum Wilden
und Wunderlichen ein Lächeln haben, zum Großen und Schönen Ehrfurcht,
zum Kleinen und Feinen Andacht, für das Böse, Schillernde, Kranke
Schweigen und Abkehr. Das ist die still vornehme Gesinnung dieses
Erben, die er ohne wirkliche Pedanterie, mit gelassener Freundlichkeit Zeile
für Zeile erkennen läßt. Und aus ihr kommt ihm jene tiefe, sichere Ein--
fühlung in das Wesenhafte von Mensch und Ding, mit der er uns darin
heimisch macht, ohne nns durch Explosionen zn überraschen; aus ihr ge-
winnt er Muße zu feiner Knüpfung der Fäden und zur Bereitung leiser,
ergreifender Wirknngen, Ruhe, seine Phantasie an das Alltägliche an«
knüpfen, Gewebe in weite Ferne spinnen zu lassen nnd sie dann mit
gütigem Wort wieder zurückzuholen. Himmelbauers Novellen, so scheint
es mir, gehören zu denen, die man nicht „kritisieren" kann, sie sind zu ein-
fach, zu naturmäßig dazu, zu wenig Kunsterzeugnis. Aber ich liebe sie wie
die Natur des Wienerwaldes, des böhmischen Mittelgebirges, wie Schuberts
Musik und Straußens Walzer, zu denen allen sie eine Verwandtschaft
in sich tragen.

Zuweilen tut es gut, auch ein älteres Zeugnis von der dichterischen
Produktion des Tages zu betrachten. Zur rechten Zeit fielen mir da
Iulius v. d. Trauns Novellen „Der Schelm von Bergen" in die
Hand, schön neu ausgestattet, von Alfred von Berger mit klugen und
lockeren Plauderworten liebenswürdig eingeleitet. Wie seltsam doch neben
der historischen Verschiedenheit — zwei Stile, zwei Lebensauffassungen —
die Einheitlichkeit der landschaftlichen und nationalen Bestimmtheit sich
da offenbart. Ein Mann wie Schindler (so hieß „von der Traun") — hat
er nicht trotz der Iahrzehnte, die ihn von Himmelbauer trennen, mehr
gemein mit ihm, als etwa mit Scheffel oder Baumbach? Für mein Fühlen
jedenfalls liegt über diesen vier „romantischen" Stücken, obwohl sie so
bizarre Gegenstände erzählen, kaum minder Ruhe und Sicherheit und
nachdenkliche Lebensliebe. Auch Schindler hält auf eine angemessene Voll-
ständigkeit und Sauberkeit der Arbeit, auf Fülle des Naturhaften und
weiche Linien des Empfindens. Auch er nimmt sich Zeit und kennt
zarte Binnenwirkungen, auch er hat das vertrauliche und zurückhaltende
Lächeln und — trotz des Rüchleins Ironie — sein gemessen Teil Ehr-
furcht. Daneben freilich kennt er Laune und Witz. Die alte Geschichte
vom Schelm, der die Kaiserin liebt und von ihrem Gemahl geadelt wird,
spricht bei ihm nicht nur von lichter, fröhlicher Iugend, sondern auch von
Funken, die er der dumpfen Trägheit durch Fechterstreiche des Witzes
entlockt. Mit dem kleinen Band verdient Iulius von der Traun in jedem
Fall seinen Platz nicht nur im Schrank der Erinnerungen, sondern neben
dem Lebenden, wo wir stille Erheiterung suchen.

Novellensammlungen besprechen ist nicht leicht; auf kurzem Raum kann
man das wichtige Inhaltliche fast nie veranschaulichen. Die sechs Verfasser,
deren wir heute gedachten, hatten aber wenigstens den Geschmack, in ihre
Bände mehr oder minder Einheitliches zu vereinigen, nicht Skizzen und
Späne aus allzu unterschiedlichen künstlerischen Sphären. Auch das ist ein
Stück literarischer Kultur, dessen man mit Behagen inne wird, — die bunte
Fülle der innern und äußeren Welt in ein paar stille, wohlabgestimmte
Rahmen gebracht. Wolfgang Schumann

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