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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 7 (1. Januarheft 1917)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0042

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Er vermeinte, anderes zu schauen. Ihn dünkte, daß fern an der Felder
umnachtetem Rand, zwischen srierenden Bäumen hindurch und überm
Saum schwarzer Wälder, ein Land sich hob. Hinein in den Himmel hob
sich das Land — ein unermeßliches Iauchzen von Licht, ein stiller und
unlöschbarer Brand. — Und steht nicht ein Mensch an dem Flutenrand
und schaut in schweigend glückselige Gluten? Drin ruht einer Insel ge-
wölbter Opal — und ein bergiger Rücken trägt Flammenfanal, und ein
Glanz aus den Tiefen und ein Glanz von den Höhn und Stimmen, als
ob sie riefen mit unhörbarem Getön. Wächst auch ein Weib aus feurigem
Schlund. Ganz durchgeglüht ragt sie vom glühenden Grund. Sie dehnt
ihren Leib und lächelt mit Augen und Mund. Nun hebt sie den Arm
und beugt sich meerüber zu dem dort am Strand. Schon stehen die
beiden feuergeschmiedet Hand in Hand. Aus ihren Körpern einander
zu blüht ein unbändiges Blut, es rollt befreit und reich und rollt gut.
Es treibt sie näher, lockend sich anzuschauen, es treibt sie näher, ihr Sehnen
sich zu vertrauen, es treibt sie näher, sich Leib an Leib zu bauen. Da wachsen
sie stumm und riesengroß zusammen, aus ihren Flammengesichtern schlagen
viel hundert Flammen —

Aus — ihren — Gesichtern — aus diesem eins gewordenen Sonnengesicht.

Der Mann am Fenster fährt sich über die Augen. Er merkt, daß es
auch im Wagen hell geworden ist. Ein schaler Abglanz von ferner Glut
liegt auf der fettigen Polsterung und stellt sie mitleidlos zur Schau.

Es wird wieder dunkler. Zwischen den Zug und die Lichtquelle springen
Häuser. Sie wersen donnernd den Schall der Räder zurück und durch
die Ritzen der Fenster herein. Der Wagen stolpert über eine Weiche.
Er läuft langsam. Dumpf wird eine Brücke noch übermurmelt, dann hält er.

Zwischen armseligen Häusern. Vor einem aus der Nacht ängstlich in
den kalten Morgen geduckten Bahnhof. Nichts mehr vom sprühenden
Licht, es ist zugedeckt. Ein blasser Himmel überfröstelt die Welt.

Die Frau hat sich erhoben. Sie nimmt ihr Gepäck und geht ohne
Gruß. Auch er sagt nichts. Es kostet sie vielfache, schier verzweifelte
Handgriffe, die Türe zu öffnen. Wohl empfindet der Mann die Not-
wendigkeit, ihr helfend beizuspringen. Er unterläßt es.

Nun ist sie draußen. Ihre Schritte knirschen überlaut durch einsamen
Kies. Er sieht ihr nach. Nnd es formen sich Worte in ihm. Er hat eine
Rede auf der Zunge, etwas wie eine Liebeserklärung. Es ist ihm lächer-
lich und feierlich zumute.

Dort steht die Frau noch und spricht mit dem Bahnbeamten. Der
zuckt die Achseln. Ist der Zug bereits fort, den sie benutzen wollte? So
fühlt sie sich genarrt von mir, der ich ihr den Anschluß zu versprechen
die Stirn hatte.

Aber sie steht ruhig, sie überwindet es. Sie scheint Schicksalsschlägen
gewachsen zu sein. Diese Frau — vielleicht, nein: wahrscheinlich ist es die,
mit der ich glücklich werden könnte. Nachdem ich dessen mich versichert
fühle, was ist also zu tun? Ich werde aussteigen, ich werde zu ihr hingehen,
und meine Augen oder irgend etwas, das mich in dieser einzigen Sekunde
nicht im Stiche lassen kann, werden ihr klarmachen, daß es notwendig ist,
uns kennen zu lernen. Ich werde sie bitten — da sie nun doch einmal
den Zug versäumt hat — diesen Weg dort, irgendeinen zwischen den
Feldern hin, mit mir zu gehen. Und wir werden es möglich machen, auf
dieser fremden Straße, die wir nie vordem gesehen haben und nach dieser

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