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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 8 (2. Januarheft 1914)
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Grupe, Margot: Vom Einfluß der Frau auf das allgemeine Modebild
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0129

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abgestrichen wird, ist just das, was den „Charine" des Modells aus-
machte. Was dann „in solide und billig" daraus entsteht, ist — Mode,
wie sich die Trägerin einbildet, in Wahrheit nur die Geschmacklosigkeit,
die aus salscher Materialbenutzung, aus mißverstandenen Formen und
Farben kommt. Will die Frau Geschmack kultivieren, so muß sie einen
Einklang zwischen Material und Machart einerseits und ihrer Person
anderseits herstellen. Was in Orspo äs ebins und echten Spitzen an
einer schönen Frau entzückend sein kann, ist unerträglich in Baumwoll-
musselin mit Spachtelspitzen, selbst an einem hübschen Mädchen. Der
Hut, der auf der Promenade eines Kurortes im schönsten Sonnenschein
erfreulich ist, ist furchtbar zum Regenmantel bei Schmutzwetter.

Auch die überpraktischen Reisenden, die ihr Lodenkleid durch Knöpf-
vorrichtung bald fußfrei, bald schleppend zur tabls ä'bots tragen, sind
sehr weit entfernt von Stilbegriffen. Loden gehört auf die Berge und ist
kein Gesellschastsstoff, hat man aber kein Abendkleid, so ist es hundert-
mal besser, den kurzen Lodenrock zum „äinsr" zu tragen, als ihm die Rolle
eines Schleppkleides zuzumuten. Skeptisch muß man all die Pappschachtel-
reisenden betrachten, die ihre sparsame Reiseart preisen. Wie ist in der
Pappschachtel das alles unterzubringen, was wirklich für jede Gelegen--
heit nötig ist? Immer muß die arme Schachtelbesitzerin auf irgend etwas
in ihrer Toilette verzichten. Entweder fehlt das Nötige sür Sonnen-
schein oder für Regen. Manche Frauen packen ein sachgemäßes, neues
Reisekleid lieber in den Koffer und tragen zur Fahrt ein helles, vertragenes,
fleckiges Gewand, das sie nachher auf der ganzen Reise nicht mehr
brauchen können. Sie haben das Vergnügen, auf der Fahrt, bei der
Ankunft, bei Aufenthalten, sich nie ordentlich und adrett zu fühlen, nur
wegen des schönen Bewußtseins, das zur Reise extra angeschaffte Kleid
noch einen Tag länger zu schonen. Gewiß, es fordert viel Äberlegung,
für jede Gelegenheit passend ausgestattet zu sein. Iede Anschaffung muß
systematisch darauf berechnet sein, wenn man seine Mittel einteilen muß.
Aber ehe man es erreicht hat, darf man nicht von einem Stil in der
Kleidung sprechen. Es gibt Menschen, die für warmes schönes Wetter
in Dutzenden von Sachen wechseln können, und für Regenzeiten sehlt
ihnen das allernotwendigste, das heißt das sachliche. Wer sich sür sich
selbst anzieht und seiner selbst wegen nach Harmonie sucht, der wird am
wenigsten entgleisen.

Ie mehr gut und sachlich gekleidete Frauen in einem Kreise leben, je
stärker ist ihr Einfluß auf die andern und desto sicherer wird er den
Modeerscheinungen gegenüber sein.

Ehe eine Frau sich nicht völlig klar über die Grunderfordernisse guter
Kleidung ist, kann sie auch nicht hoffen, mit Glück am allgemeinen Mode-
bild zu arbeiten oder gar abweichend vom Modenwege eigenes und neues
zu erfinden. Wir haben das ja an der Reformkleidung erlebt. Frauen,
denen bisher nichts an ihrer Kleidung lag, schufen jenes Sackkleid der
ersten Reformjahre in der Meinung, es sollte Uniform werden. Auch
hier gab es Märtyrerinnen auf der ganzen Linie. Ietzt hat so manche
Frau ihre Kleidung streng nach denselben Grundsätzen eingerichtet, sie
schnürt sich nicht und ihre Schultern helfen die Kleiderlast tragen, und
doch versteht sie, diese gesundheitsgemäße Eigenart mit der Mode in
Einklang zu bringen. Ob gerad einmal Faltenröcke oder glatte Röcke
Mode sind, enge Armel oder weite, Anstecklocken oder Zöpfe, das wäre
 
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