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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI issue:
Heft 9 (1. Februarheft 1914)
DOI article:
Bonus, Arthur: Ein deutsches Kulturprogramm
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0209

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daß man nicht einmal ahnt, es könne sich für einen heutigen Menschen
lohnen, sie auch noch zu lesen. Es geht ihnen wie Klopstock in dem be-
kannten Lessingschen Lpigramm: wenige, die sie nicht lobten, noch weniger
aber, die sie zum Lesen vorgenommen hätten.

Indessen selbst, wenn einer bis dahin gekommen ist, hört ihr Miß-
geschick nicht auf. Wer oberflächlich liest — und zwar der Begeisterte noch
sicherer als der Kritische — liest an ihrem eigentlichen Inhalt vorbei. Lr
hat sich darauf eingestellt, daß er hier an der Hauptquelle des gemein-
deutschen Patriotismus stehe. Gleich die erste Voraussetzung, die Fichte
macht, lautet ja: „Ich rede für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlecht-
weg, . . . durchaus beiseite setzend und wegwerfend alle die fremden Anter-
scheidungen, welche unselige Ereignisse seit Iahrhunderten in der einen
Nation gemacht haben." (Allerdings die Tatsache selbst der Vielstaat-
lichkeit schätzte Fichte als einen großen Kulturvorteil Deutschlands vor dem
Ausland ein, weil sie Staat und Volk kräftiger unterschied, größtmögliche
Freiheit gewährleistete und den Wetteifer anregte. Nur hätte ein fester
Staatenbund alles umschlingen müssen.) Eingestellt aus diesen Patriotis-
mus ist der begeisterte Leser gestimmt, nur den starken und gegen den
Schluß hinreißenden Akzenten zu lauschen, welche dieser herbe und fast
harte Mann findet, um das biblische „Tröstet, tröstet mein Volk, sprechet
mit meinem Vaterland freundlich" ins Deutsche zu übersetzen. Der in
dieser Weise Begeisterte vergißt, daß Propheten zwar von einer ewigen
Wahrheit aus sprechen, aber zu veränderlichen zwlschen Gegensätzen schwan-
kenden Völkern. Gerade wenn der Prophet in der Richtung Ersolg
hat, die er seinen Wahrheiten gegeben hat, so ist anzunehmen, daß
hundert Iahre später eben dieselben Wahrheiten die umgekehrte
Richtung nehmen müssen. Der Prophet Ieremia hatte seine härtesten
Kämpfe gegen die auszufechten, welche zu seinen Zeiten die Prophetien
des Iesaia von der Unverletzlichkeit Ierusalems aufrecht erhielten.

Hier wird nun der kritische Leser versucht sein, uns recht zu geben.
„Gewiß," wird er sagen mögen, „so ist es auch. Fichte hat, um das
Volk zu ermutigen, es an seine Kraft, Ursprünglichkeit, seine großen Taten
erinnert, und um ihm die Bundesgenossenschaft der Weltgeschichte selbst
zu gewährleisten, ihm den Beweis geführt, daß die Weltentwicklung jedes
andre Volk eher missen könnte, als gerade das deutsche, das Nrvolk,
das Volk an sich, das immer wieder alle Dinge ernst nimmt und in die
Tiefe verfolgt, das einzige, das mit der rastlos aufwärts strebenden Ent-
wicklung selbst im strikten Bund geblieben ist. Diese Dinge waren damals
gut zu sagen, es gehörte damals Mut dazu, sie zu sagen. Es war ein
Wagnis. Ietzt aufrecht erhalten in unsrer Zeit des Geschäftspatriotismus
sind sie Delirien. Ein neuer Fichte müßte und würde geradezu ent-
gegengesetzt sprechen."

Ich stimme mehr dem Kritiker als dem Begeisterten zu. Aber was beide
vergessen, ist dies, daß der Prophet aus einer, wenn nicht ewigen, so jeden-
falls lang dauernden Wahrheit herausspricht, die zwar je nach Art und
Schicksal der Hörer eine verschiedene Richtung annimmt, aber aus dieser
ihrer nächsten geschichtlichen Form sehr leicht losgelöst werden kann, indem
 
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