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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 9 (1. Februarheft 1914)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0258

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gewesen, aber es gibt nur ein Gebet, das taugt, und das ist, dem Bösen
zu trotzen! Wir sind das auserwählte Volk, und deswegen müssen wir
tzalt sagen! Wir wollen nicht länger mitmachen — um unsrer Frauen
und Kinder und deren Kinder wrllen! Ia, aber was geht uns die Nach-
welt an? Freilich geht sie uns was an — gerade uns! Waren eure
Lltern wie ihr? Nein, die wurden in Staub und Armut erdrückt und
krochen demütig vor der Macht und den Großen. Woher haben wir
denn alles das in uns, das uns so stark macht und uns veranlaßt, uns
zusammenzuscharen? Die Zeit hat stillgestanden, Kameraden! Sie hat
ihre Finger auf unsere Brust gesetzt und gesagt: Das sollt ihr tun!
Hier, wo wir stehen, bört das Alte aus und das Neue beginnt, und darum
haben wir unsre Gerätschaften ja hingeworfen, mit der Not vor Augen —
so etwas ist noch nie zuvor gesehen worden! Wir wollen das Leben
umkehren und es gut für den armen Mann machen, für alle Zeiten! Ihr,
die ihr so oft Leben und Wohlfahrt für ein Zweikronenstück gewagt habt —
jetzt haltet ihr die ganze Zukunft in eurer Hand. Haltet jetzt aus, ruhig
und besonnen! — Und ihr werdet niemals vergessen werden, solange es
Arbeiter auf Erden gibt! Dieser Winter wird der letzte sein, wenn wir
nur ausharren, dahinter liegt das Land, nach dem wir gewandert sind. —
Kameraden! Durch uns wird es tagen!"

Pelle wußte selbst nicht, welche Worte er sprach. Er fühlte nur, daß
irgend etwas durch ihn redete — das Mächtigste, das niemals log. Es
lag ein leichter, prophetischer Klang über seiner Stimme, der mit fortriß,
sein Blick flammte. Vor ihren Augen erhob sich eine Gestalt aus dem
erdrückenden Winter und ragte im Licht auf, eine Gestalt, die sie selber
waren — und doch ein junger Gott. Er stieg neugeboren aus dem Elend
selber auf, schlug den schweren Schicksalsglauben beiseite und schenkte statt
dessen einen neuen Glauben — den lichten Glauben an die eigene Kraft!
Sie schrien zu ihm empor, zuerst einzelne Stimmen, dann alle. Er sam-
melte ihre Schreie zu einem mächtigen Lebehoch auf die neue Zeit.-

Ieden Tag stellten sie sich ein, nicht um zu arbeiten, sondern um dort
in stummem Protest zu stehen. Wenn die Aufseher die Arbeiter vorriefen,
standen sie in stummen Gruppen da, drohend wie ein dunkler Felsen. tzin
und wieder riefen sie einen Fluch über sie aus, über die, die sie im Stich
gelassen hatten. Die Stadt unternahm nichts. Man hatte den Not--
leidenden eine helfende Hand gereicht, und sie hatten danach geschlagen —
jetzt mußten sie selbst die Folgen hinnehmen. Der Nnternehmer hatte die
Erlaubnis erhalten, die Arbeit ganz aufzuheben, hielt sie aber mit ein
paar Dutzend Streikbrechern im Gange, um die Arbeiter zu reizen.

Drinnen auf dem großen Terrain herrschte Todesruhe vor der Ecke,
wo der kleine Trupp arbeitete, einen Schutzmann zur Seite, wie Zucht«
hausgefangene. Die Schubkarren lagen mit dem Boden in die Höhe da;
es sah aus, als sei Pest oder Seuche über den Arbeitsplatz hingegangen.

Die Streikbrecher waren Leute aus allen Berufen, einige von den
Arbeitslosen schrieben ihre Namen und Adressen nieder, um sie in den
„Arbeiter" zu setzen. Einer von Stolpes Fachvereinsleuten war auch da-
zwischen, er war ein besonnener Familienvater und hatte seit den ersten
Tagen an der Bewegung teilgenommen. „Es ist ein Iammer um ihn,"
sagte Stolpe, „er ist ein alter Arbeitskamerad von mir und bisher immer
ein guter Kamerad gewesen. Nun werden sie ihn hart anfassen im
Blatt — wir sind dazu gezwungen. Es kann dem Stand nicht damit ge--
 
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