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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 9 (1. Februarheft 1914)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0259

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dient sein, daß einer von seinen Vertretern hingeht und zum Verräter
wird."

Frau Stolpe war unglücklich. „Es ist solche nette Farnilie," sagte sie,
„wir haben immer mit ihnen verkehrt — und ich weiß, daß sie lange ge-
hungert haben; er hat eine junge Frau, Vater, da ist es nicht so leicht
zu widerstehen."

„Mir tut es selbst leid", erwiderte Stolpe. „Aber man ist dazu ge-
zwungen, sonst wird man der Parteilichkeit beschuldigt. Und mir soll
niemand kommen und sagen, daß bei mir das Ansehen der Person gilt."

„Ich möchte wohl hingehen und mit ihm reden", sagte Pelle. „Viel-
leicht gibt er es dann auf."

Er bekam die Adresse und ging nach Feierabend hin. Es war ein kahl
rasiertes Heim mit vier kleinen Kindern; eine schwere Luft lag darüber.
Der Mann, der schon etwas zu Iahren, aber noch kräftig war, saß ver-
grämt da und verzehrte sein Essen, während die Kinder mit dem Kinn auf
dem Tischrande lungerten und aufmerksam jeden Bissen verfolgten, den er -
nahm. Die junge Frau ging hin und her; sie trug ihm das einfache Essen
mit einer eigenen liebevollen Bewegung auf.

Pelle brachte die Frage aufs Tapet, es wurde ihm schwer, diesem alten
Veteranen gegenüber. Aber gesagt werden mußte es ja.

„Ich weiß es recht gut", sagte der Mann und nickte vor sich hin. „Du
brauchst deine Lektion nicht anzufangen, denn ich bin selbst vom ersten
Tage an mit dabei gewesen, und bisher habe ich meine Verpflichtung
gehalten; nun hat es mit mir ein Ende. Was willst du hier, Iunge?
Hast du Frau und Kinder, die nach Brot schreien, dann denk an deine
Eigenen!"

„Wir schreien nicht, Hans!" sagte die Frau still.

„Nein, das tut ihr nicht, und das ist noch viel schlimmer! Kann ich es
denn mit ansehen, daß ihr hier herumgeht und abmagert und friert? Zur
Hölle mit den Kameraden und ihren großen Worten, wozu haben die ge-
führt? Vorher haben wir ein klein wenig gehungert, und jetzt hungern
wir mächtig — das ist der Anterschied! Laßt mich in Ruhe, sag ich euch!
Zum Teufel auch, warum will man mich nicht in Ruhe lassen?"

Er nahm einen Schluck Branntwein aus der Flasche. Die Frau schob
ihm ein Glas hin, aber er stieß hart dagegen.

„Sie wollen dich morgen ins Blatt setzen", sagte Pelle zögernd. „Ich
wollte dir das nur sagen!"

„Ia, und von mir schreiben, daß ich ein Schwein bin und ein schlechter
Kamerad, was? Vielleicht auch, daß ich meine Frau prügele. Aber sie
wissen ja selbst, daß das Lügen sind, aber was geht das mich an?
Willst du einen Schluck haben?«

Nein, Pelle hatte kein Verlangen nach etwas. „Na, denn tue ich es
selbst", sagte der Mann und lachte boshaft. „Ietzt kannst du ja bezeugen,
daß ich ein Schwein bin — ich trink aus der Buddel! And einen andern
Abend kannst du wiederkommen und am Schlüsselloch lauschen, vielleicht
hörst du dann auch, daß ich meine Frau prügele."

Die Frau fing an zu weinen.

„Ia, zum Teufel auch — sie können mich ja in Ruhe lassen!" sagte
der Mann trotzig.

Pelle mußte unverrichteter Sache gehen.

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