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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 10 (2. Februarheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0369

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deutlich auf andere Gebiete als ge-
rade die dramatische Oper hin.

Wulf Haidyl

Wer hat das gebaut?

ie Baumeister aller Zeiten teilen
das Schicksal, als die unpersön-
lichsten Künstler angesehen zu wer-
den. Wer den Faust liest, der ver-
langt zu wissen, wer der Versasser
gewesen sei und wie er gelebt habe,
wer aber den Dresdner Zwinger
bestaunt, dem ist der Name Pöppel-
mann nicht mehr als eine Aufschrift
auf einem Schubfach seines Gedächt-
nisses. Nun läßt sich diese Erschei-
nung aus dem Anterschiede beider
Kunstgattungen heraus erklären. Ge-
wiß erlaubt die Dichtkunst jedem, der
sie meistert, eine fast vollkommene
Ausstrahlung seines eigenen Ichs,
wohingegen die Baukunst von ihren
Iüngern verlangt, daß sie vor allem
einmal den Zweck bedenken. Aber
müssen darum Wohnhäuser, Fabri-
ken, Kirchen, Paläste Leistungen
eines nichts-als-s achlichen Geistes s ein.

Noch viele fühlen sich heute ver-
sucht, diese Frage zu bejahen. Die
Zeit des sogenannten Iugendstiles,
sagen sie, sei der beste Beleg ihrer
Ansicht, daß der Ichdrang zur Äus-
lösung aller der Baukunst innewoh«
nenden Gesetze führen müsse. Der
Bauende dürfe darum, genau wie
der Möbelkünstler, nur den Zweck
seines Werkes im Auge haben. Die
Erfüllung dieses Zweckes habe zur
Folge, daß sich ein Schimmer von
Schlichtheit, von einer scheuen, nur
leise wahrnehmbaren Schönheit über
das Werk breite. Darauf ist zu er-
widern, daß dem so sein kann, daß
eine gewisse GaLtung von Künstlern
so arbeiten wird, daß es aber falsch
ist, die Arbeitsweise eines Teiles
aller Bauenden und gerade des be-
scheideneren, anspruchsloseren, un-
persönlicheren Teils zur Norm
aller baukünstlerischen Schöpfung
zu machen.

Nein, auch in der Baukunst muß
die Persönlichkeit zum Ausdruck
kommen, wenn sie den Titel Kunst
nicht einbüßen will. Wie der be-
scheidene, nur den Zweck bedenkende
Gestalter eben diese seine Bescheiden-
heit und sachliche Äberzeugung allem
aufprägt, was aus seiner Hand her-
vorgeht, so soll jede Gesinnung, jede
menschliche Empfindungsart allge-
meiner Natur die Glieder eines
Bauwerks zum Erklingen bringen.
Wir wissen alle, welche begeisterte,
sittliche Willensspannung, welch ein
leidendes, drohendes, jauchzendes,
hochaufbrausendes Himmelwärts-die-
Herzen die Türme des Kölner Doms
beschwingt. Weniger weiß man, daß
Bürgerhäuser aus derselben Zeit
gleichfalls ihre eigene, sehr persön-
liche Stimmung und Laune besitzen.
Wie ein altes, adliges Gesicht neh-
men sie sich vielfach aus, in dem
über befehlshaberisch gemessenen
Zügen Augen stehn, die vom Glanz
des Lebens mit Anmut zu reden
wissen.

Es gibt im Wortsinne heitere,
sinnende und tief ernste Gebäude.
Es gibt Gebäude, die sich freundlich
und gleichsam bittend anschmiegen,
und andre, die mit voller Lust auf
eignen Beinen stehn. Auch gibt es
drohende und gespenstisch blickende,
namentlich solche aus alter Zeit, die
eigentlich nur noch von Malern und
Wandernden geschätzt werden und
von diesen nicht einmal um ihrer
baulichen Erscheinung willen, sondern
des meist hinzuempfundenen Bei-
werks der SLimmung wegen. Iedes
dieser steinernen Antlitze aber spie-
gelt die Seele ihrer Schöpfer, oder
der Mitschöpfer, denn Mitschöpfer ist
der Bauherr, der es verstanden hat,
sich auf die Gestaltung seines tzauses
einen bestimmenden Einfluß zu
sichern.

Schärfen wir in Zukunft unsre
Augen etwas mehr, im Antlitz eines
Gebäudes die Seele seines Schöpfers
 
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