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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 11 (1. Märzheft 1914)
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Schmidt, Leopold: Heitere Musik als Volksunterhaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0428

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Form des Singspiels bei Deutschen und Franzosen die Anfänge einer
nationalen Bühnenkunst bedeutete, ist in nnsern Tagen oft auf die Tiefe
des Seichten und Gemeinen hinabgesunken und hat die ganze Gattung,
die diesen Namen trägt, in Verruf gebracht. Mit Recht kann man der
Operette vorwerfen, daß sie durch alberne und schlüpfrige Sujets mit
den schlechten Instinkten der Masse rechnet und durch leichtfertige musi--
kalische Haltung sich selbst um die öffentliche Achtung gebracht hat. Aber
es hieße das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte man dies ab-
sprechende Arteil, wie es häusig geschieht, ganz allgemein fällen und keine
Ausnahme gelten lassen. Ein Offenbach, Lecocq, Audran, ein Sullivan,
Supps, Iohann Strauß, ja auch ein Millöcker stehen hoch über den
talentlosen Nachahmern ihres Stils; sie sind besser als ihr Ruf und haben
neben mancherlei Frivolem und Gehaltlosem in ihren Bühnenwerken doch
auch Musik von bleibendem Wert geschaffen. Musik, die ost auch formell
und durch die geniale Verwendung der Mittel die Hand eines Meisters
verrät, und die an Erfindungskraft und Ausdrucksfähigkeit weit über dem
Durchschnitt dessen steht, was auf ernstem Gebiete geleistet wird. Es kann doch
kein Zweifel sein, daß ein wirklich schöner Walzer mehr wert ist als eine
schlechte Sonate, als ein innerlich hohles Kirchenstück oder ein nichts als ge-
lehrtes Fugenwerk. Nnd diese Musik soll dem Volke vorenthalten bleiben?

„Ernst" und „lustig" bedeutet da für die Bewertung ebenso viel oder
wenig wie „deutsch" oder „spanisch", wie „lang" oder „kurz", „heilig"
oder „profan", „sittlich" oder „unsittlich". Denn auch das Lustige, Pro-
fane, ja „Ausittliche" kann künstlerisch ernst und rein wirken. Und wer
Einblick in das Wesen der Kunst genommen, weiß, wieviel Ernst auch
das Gestalten des Heiteren vom Schaffenden voraussetzt. Nur ein Kri-
terium entscheidet: ob etwas zweckentsprechend erfunden oder nicht, ob
es gut oder schlecht gemacht ist; auch das kleinste Genre kann in seiner
Art vollendet sein.

Solange die Meister der Operette lebten — sie sind nun alle tot, und
keine gleichwertigen Nachfolger sind ihnen erstanden — hat man sie
künstlerisch nur selten ernst genommen. Ausere Generation denkt darüber
anders. And gerade die hervorragendsten Mnsiker sind es, die einem
Offenbach, einem Iohann Strauß die Kränze flechten. Ietzt würdigt man
es erst, welche musikalische Fähigkeit sich in ihrer ursprünglichen und
unerschöpflichen melodischen Erfindung offenbart hat. In unserer Zeit
schwülstiger, überladener Darstellungsmanieren einerseits und dürftiger,
dilettantischer Schablonenarbeit andrerseits bestaunt man nicht ohne Neid
ihre Meisterschaft, mit wenig Mitteln in knappem Rahmen zu charakteri-
sieren. Aud daß diese MLnner, als aller Blütenstaub von der nach
Neuem ringenden Kunst des Tages mit unerbittlichem Ernst abgestreift
war, dem Humor, der Satire, dem Bedürfnis nach heiterem Lebens-.
genuß Ausdruck gaben, wer wollte es ihnen nicht Dank wissen? Eins
kommt noch hinzu, was sie für unsre Ziele besonders wichtig erscheinen
läßt: das ist ihr Verhältnis zur Volksmusik. Die Operettenmusik, wohl ver-
standen: nur die bessere, wurzelt zum Teil in durchaus oolkstümlichem
Empfinden, und ihre Gebilde haben dann wiederum den musikalischen
Schatz des Volkes bereichert. Lieder wie „O du himmelblauer See" (aus
Millöckers „Verwunschenem Schloß") oder „Hab ich nur deine Liebe"
(aus Suppes „Boccaccio") sind geradezu Volkslieder geworden, und
so mancher rhythmische oder melodische Einsall auch minderer Operet-


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