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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 11 (1. Märzheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0472

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Stücke, entschlossen, die gute Sache
bis ans Ende durchzukämpfen.

Ist diese Sache in dem dargestell-
ten realen Zusammenhang wirklich
so einwandfrei gut? Zwar der Pastor
selbst —/und mit ihm der Domänen-
rat nebst Tochter und Enkel — hal«
ten es für ideal, gerecht und löblich,
daß er als feierlich verpflichtetes und
materiell entlohntes Organ der Dog-
menkirche in einem Gotteshaus dieser
Kirche und mit Ausnützung ihrer
Autorität gegen die Glaubenssätze
ebendieser Kirche predigt. Doch
kein durchaus unparteiisches Urteil
wird diese Handlungsweise unbe-
denklich finden können, bei aller
Würdigung des Fortschritts und Be-
kennermuts; vielmehr müßte man
von dem Pastor Dreyers erwarten,
daß er vor allem das Niederlegen
seines Amtes erklärt und für seinen
neuen Glauben eine neue Gemeinde
zu bilden sucht. Darum kann Dreyer
auch nicht überzeugen, wenn er ge--
gen den einschreitenden Superinten-
denten das Rechtsgefühl mobil zu
machen und die Nichtduldung der
freigeistigen Predigt aus derselben
trüben Ouelle zu erklären sucht wie
die Wahrheitsverdrehung bei der
Leichenrede. Ia sogar der Mini-
sterialdirektor — mit „Bekennermut"
sei es gesagt, ob auch Dreyer bis
ins Innerste darob erschaudern sollte
— sogar dieser kühle Ministerial-
direktor kann nicht so schlechthin
ruchlos erscheinen, wie das Stück es
wahr haben möchte, wenn er die
bürgerliche Ehre seiner Frau wie
auch seine und seines Sohnes Le-
bensstellung nicht so leichthin einem
radikalen Reformeifer an unrechtem
Orte aufopfern will.

Mit diesen logischen Bedenken ge-
gen den ideellen Kern des Schau-
spiels fallen die künstlerischen schon
großenteils zusammen. Wie die Ver--
teilung von Licht und Schatten ideell
nicht stimmt, so kann sie eben auch
dichterisch im Sinne einer gleich--

mäßig überzeugenden Menschendar-
stellung nicht befriedigen. Trotz alle-
dem wird aber dem Stück wohl nir--
gends ein lauter Widerhall fehlen;
das Verlangen nach Aberwindung
der Äbergangszeit ist schon so groß
und allgemein, daß jede entschlossene
fortschrittliche Stellungnahme ohne
viel Federlesen freudigst begrüßt
wird.

Hanns von Gumppenberg

Erwin Nosens „Cafard"*

Hamburger Theater

rlebte, ungewöhnlich reiche Sach--
kenntnis und ehrlicher, unbeein-
flußter Sachwille sind die Quellen,
aus denen alles, was echt, eindrucks-
voll und nachfühlenswert an Erwin
Rosens Cafard ist, fließt. In die
Fremdenlegion führt sein Stück. In
farbensatten Bildern, die sich der
Erinnerung, kraft ihrer Besonderheit,
einprägen, wird das qualvolle Da-
sein jener vom Zufall zusammenge-
würfelten Iungmännerfchar geschil-
dert, die aus Abenteuerlust, Dum-
merjungenhaftigkeit, um eines wirk-
lichen oder vermeintlichen Vergehens
willen die haltgebende Heimat ver-
ließen und nun, im aufreibenden
Dienst eines fremden Volkes, fast
ausnahmslos heimwehkrank werden.
Wir sehen, wie der Cafard, jenes
rätselhafte, dem Tropenkoller ähnliche
Heimwehfieber, den weichsten unter
ihnen packt, aus dem Friedfertigen
einen drauflosschlagenden Berserker
macht und blitzschnell alle ansteckt,
so daß der Aufruhr unvermeidlich
wäre, wenn nicht das Signal zum
Kampf ertönte und damit das Ro-
mantische, das Lockende, das selbst
ihr Dasein hat, über sie Macht ge-
wänne. Für kurze Zeit nur. Denn
in dem Augenblick, wo der Kampf
beendet ist und zum Rückzug geblasen
wird, ist auch der Cafard wieder da.

* Als Buch bei Georg Müller,
München, erschienen.

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