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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 12 2. Märzheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Raubbau am Heimatswert: auch etwas zum Vorfrühling
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0500

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Interesse am Mehrertrage an Geld. Das „Schöne" wohnte in irgendeinem
luftigen Oberstock, dessen Mauern gar nicht im Leben standen, ob diese
Bauweise solid sei, darüber dachte man nicht nach. Heut denkt man auch
bei den Amtern so gut wie überall daran. Auch im Spessart- und Spree--
waldfalle waren sich die entscheidenden Behörden eines Konfliktes
bewußt, erkannten sie neben den Geld-Interessen andre durchaus als
berechtigte Interessen an, nur eben als solche, die minder schwer
wögen. Die Handhaben der neuen Gesetze sind ja auch noch dünn
und mit ihren ängstlichen Begriffen, wie dem einer „hervorragenden"
Schönheit unzuverlässig biegsam. Wie klar war doch die alte Tradition:
im Zweifelsfalle entscheide, was Geld macht. Da ließ sich von jedem
schätzen, da schrieben sich in die Rechnungen Ziffern. Dagegen Im-
ponderabilien-Werte? Ein dunkles Gefühl von ihnen ist da, bei sehr
vielen schon ein warmes und ein starkes Gefühl. Aber das setzt in die
Rechnung keine benannten Größen, während die gewonnenen oder ver-
lorenen Mark-Tausende mit gar handlichen Zahlen gegen die sogenannten
idealistischen x und y aufmarschieren. Sind nicht am Ende doch diese
x und y romantische Werte, so fragt der Unsichere, sind sie mit ihrem
sogenannten Idealismus vielleicht gar keine wirklichen, keine, die wirken?

Die Endziele beider Richtungen bei unbeschränkter tzerrschaft ergäben
einen einfachen Gegensatz: hier nur auf den Höchstertrag eingerichtetes
Nutzgelände, sagen wir Nur-Nutzgelände, sagen wir: Zweckterrain,
und dort — Heimat.

Begradigung aller Grenzen, Wege, Kanäle, Bahnen, linealgerechte
Korrektur aller Flüsse und Bäche, Ersetzung aller Wälder durch militärisch
in rechten Baumabständen zu Reih und Glied aufmarschierte Forste,
Wegschlagen aller „überflüssigen" und „überjährigen" Bäume, Ausrotten
aller nicht nutzbaren oder gar wirtschaftlich etwas kostenden Tiere, Ein-
reißen aller nicht mehr sich verzinsenden Bauten, Errichten allein wirt-
schaftlich nutzbringender — wie sähe die Welt aus, wäre das einmal kon-
sequent durchgeführt? An einigen Stellen im Vaterland, bei deren
Befahren uns im Zuge ein Grauen überkommt, ahnen wir, wie. Nnd
begreifen, daß die Bevölkerung dort entweder erniedrigt wird zum ge-
meinen Rausch bei Trunk und Dirne als allein wahrem „Lebensgenuß"
oder widerstandslos stumpf und schwach gemacht wird, während sich fremd
und feindlich aus diesen Zuständen hinaussehnt, was noch Kraft und Ge-
sundheit in sich hat. Es ist nichts als eine Erscheinung jenes von uns
so oft besprochenen „Steckenbleibens" im menschlichen Denkprozeß, was
den Geldertrag so ungeheuerlich überbewertet, jenes „Steckenbleibens" im
Betrachten der Mittel, das den Blick zurückhält vom Ziele. Unser
Wohl ist das Ziel, nicht ein Maximum an Geld. Stöhnt
jetzt der Geschäftsmann, der etwa in Lodz wohnt, über das „entsetzliche
Loch", in dem er sein Geld „machen" muß, so kann er selber vielleicht
dem entfliehen. Aber der größte Teil seiner Angestellten, was hat der
zum Heimat-Lrsatz? Uns war Iahrzehnte lang nicht bewußt, daß wir
in einer Weise arbeiteten, die im Endziel alle unsre Städte zu „Löchern"
 
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