Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 12 2. Märzheft 1914)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Raubbau am Heimatswert: auch etwas zum Vorfrühling
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0501

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und alles Land darum zu nichts als Zweckland gemacht hätte — wie
wenig achteten wir auf die Menschen dabei, wie wenig kannten
wir dabei den Menschen! Sind es die Zentren der Zivilisation oder sind
es die der Natürlichkeit noch näher lebenden Dörfer und Städte, die
ihren Mndern das Heimweh mit in die Fremde geben? Gibt es ein
Heimweh, das töten kann, nach Berlin C oder O oder auch W? Oder
nach der „grauen Stadt am Meer", nach dem Dorf am Waldrand, nach
dem Heiderücken, nach dem Alpental? Wie könnte das sein, wie's ist,
wenn nicht eine ursprüngliche Heimat tiefinnerliche Seinsbedürf-
nisse befriedigte? Reden wir nicht einmal davon, daß eine rein
kapitalistische Wirtschaft die Heimatwerte den Vielen zugunsten sehr
Weniger wegzunehmen pflegt. Fragen wir einfach: was gibt sie Allen
zum Ersatze für das, was sie Allen wegnimmt? Es hat lange ge»
dauert, bis man sich dessen ernst bewußt ward, daß zur Körpernahrung
von höchster Wichtigkeit auch die Güte der Luft gehöre, daß sie so
unentbehrlich sei, wie Speise und Trank. Daran wird nichts geändert
dadurch, daß eine Menge von Leuten für ihr Teil auf gute Luft nichts
geben, weil sie's nicht besser verstehn. Auch daß eine Menge von Leuten
der Wichtigkeit der Heimatschönheit für ihr seelisches Wohl nicht bewußt
sind, ändert nichts daran, daß sie zu gesundem Seelenleben gehört, wie
gute Luft zum Körperleben. Die Märchen, die wir selbst als Kinder
hörten, die Sagen, die Höhen und Täler umweben, die Heimatgeschichten,
die auf den alten Stätten leben, wir trieben sie aus, wie im Märchen die
Toren die Heinzelmänner vertrieben, indem wir die realen Anhalte an--
griffen, an die der Glaube an sie sich spann. Wir stellten uns unsern
eigenen Kindern als Lügner hin, wenn wir diesen ganzen Geist der tzeimat
romantisch anpriesen, aber in Wahrheit in Stich ließen, sobald ein Profit
in Betracht kam. Wir entgötterten die Heimat, indem wir sie denatu--
rierten. Die Heimat aber braucht das alte Leben der Schönheit, der
Erinnerungen und der von Urzeiten her lebenden Phantasie, wsnn sich
über ihr das Vaterlandsgefühl aufbauen, wenn sich mit ihr das Ge--
meinde-- und darüber das Staatsgefühl verbünden, wenn sich mit der
sonnüberwandelten spendenden tzeimatscholle das religiöse Gefühl ver--
quicken soll. Man sägt an den Wurzeln des ganzen Menschen-Ichs herum,
wenn man ihm sein Frohgefühl an der Heimat vergällt. Nnd auch die
Heimaten der Volksgenossen müssen wir lieben können, wenn nicht wie eige--
nes, so doch wie Freundesland, nicht nur als „Touristen", wir müssen es,
wenn wir uns als Glieder eines Volkes fühlen sollen. Fragt den Nord-
deutschen, wie sein Gefühl zu den Älplern, fragt den Bayern, wie sein
Gefühl zu den Menschen an der Wasserkante war, ehe sie gegenseitig ihre
Heimatgaue kennen lernten, und wie nachher.

Wenn der Wandel in der Behandlung der Heimatpflege ein „Nm--
schwung" gewesen wäre, ein jäher Wechsel der Aussassung von heute auf
morgen, so wäre das wohl bedenklicher gewesen, als die langsame Ent--
wicklung, deren Zeugen wir sind. Es hätte wirtschastlich zu Ungerechtig--
keiten gegen Einzelne und zur Vernachlässigung von Interessen sühren
 
Annotationen