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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 1 (Oktoberheft 1922)
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Schumann, Wolfgang: Die Härte der Aufgabe und die Aufgabe der Härte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0019

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Recht zu haben". Aber hatte er auch nur etwas Necht, so wäre das Grund
zu Scham und tzoffnung.

Zu Scham! Denn es ist vielleicht wahr, daß in unserer Sentimentalität
etwas vom besten Gemüt deutscher Natur steckt. Wenn zwei Liebende zu»
sammen melancholische Spaziergänge machen, während sie recht gut heitere
Stunden verleben könnten, so wollen wir sie auch unbehelligt lassen. Die
Träne ist nicht der schlimmste Anfang der Erhebung. .Aber einem Gemüt,
das von törichtem Gewohnheitdusel, geschmacklosem Dand, sozialem Besser»
keitwahn, alltäglicher Bequemlichkeit, weichmütigen Erinnerungen an Aber»
lebtes und unerfüllbaren Hoffnungen nicht loskommt, haben wir schleunigst
den Laufpaß zu geben! Wer will sich sagen lassen müssen, er sei mit Klagen
und Armut seinem deutschen Volke von eine Last geworden, weil ev
seine Möbel schonen mußte? Wer will wissentlich seinen Llendstod be«
schleunigen, um zuvor noch ein paar Mal durch das Spazierentragen eines
Paars gebügelter Hosen und eines Zylinders der — längst nicht mehr stau«
nenden — Masse gezeigt zu haben, er sei kein Arbeiter? Wer um ein
„Glück" seine Tage verjammern, ohne mit allerhärtester Härte geprüft zu
haben, ob dieses Glück wirklich unentbehrlich, ja überhaupt Glück war, und
ob der Sinn des Lebens — Glück ist? Nicht allein der Revolverschuß ins
Herz, auch der erste Schritt, den lebensunfähige Sentimentalität tut, ist
Selbstmord. Und ist schon selten genug ein freiwilliger Tod gerechtfertigt,
noch seltener rühmlich — ein schwächliches Dahingreinen und dem-Leben»
Nachweinen, das aus gehaltlosen Beizen besteht, ist gewiß beides nicht.

Zu tzoffnung! Denn haben wir noch Sentimentalitäten abzutun, bleibt
uns noch die Möglichkeit, aufzuräumen mit überlebten Wünschelchen und
Nichtlgkelten, nun, dann ist noch Spielraum für unser Leben. And für
ein Leben, das freier, würdiger und lebenswerter ist als das bisherige. Täu--
schen wir uns doch nicht! Der Amerikaner sagt: Es ist euch gut gegangen bis
In gewissem Sinne hat er Recht. Aber dieses „gute" Leben dreier
Iahrzehnte, wie tief hat es uns doch hineingewöhnt in Ansprüche und
Lebensbedingungen, deren Fortbestehen uns zuletzt mit wahren Fesseln
umstricken mußte. Mußte und muß denn dies alles sein, diese Nippes und
dieser Warenflitter, diese „gute Stube" und diese „Gemütlichkeit", dieser
Wohnbauluxus und diese Badereisen, dieser Dämmerschoppen und diese
Bügelfalten, diese „Eleganz" und diese Romanleserei, diese Schaustellungen
und diese Schützenfeste, diese Familienkulte und diese Schwatzstunden? Und
all die tausend netten, freundlichen und amüsanten Dinge und Erlebnischen?
Oder hätte nicht viel besser deutscher Geist aus harter Zucht sich entfaltet
zu freier Blüte? Mut sich emporgereckt zu gestaltender Tat? Seele sich
reingeblüht in der nährenden Stille der Einsamkeit? tzätten wir so nicht
viel eher begriffen, was Glück ist und was Nichtigkeit?

Unsre Aufgabe, eine der vielen nur, aber nicht die geringste, ist vielleicht
hart: Rücksichtloses Gericht über alles, was uns „wert" scheint, bis nur
übrig ist, was wahrhaft wert ist. Der Gewinn, der winkt, ist groß, größer
als das Leben: ein freies, lebenswertes Leben. Wir erringen es nicht, wir
lösten denn die harte Aufgabe, hart zu sein.

Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten;

Nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen,

Rufet die Arme der Götter herbei. Sch
 
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