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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1922)
DOI Artikel:
Schäfer, Wilhelm: Aus Wilhelm Schäfers "Dreizehn Büchern der deutschen Seele"
DOI Artikel:
Plato: Aus Platons "Gastmahl"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0043

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Ausklang

^M^eutscher, der du die bittere Gegenwart leidest, der du geschlagen, be-
^M^drückt und verachtet bist unter den Völkern, der du die wehrlosen Hände
rachsüchtigen Feinden hinhalten mußt; Deutscher, dem Wohlstand und
Wohlfahrt zerbrachen, dem aus Gewinn und Genuß hoffärtiger Tage Armut
und Ärgernis, Not und Verzweiflung kamen;

Deutscher, den mehr als die Rachsucht der Feinde und mehr als die Not
die Leichtfertigkeit schreckte, darin er sein Volk am Rand der Verkommen»
heit tanzen und Niedertracht über die Guten Gewalt haben sah;

Deutscher, bedenke die tzerkunft! Bedenke, daß deine Gegenwart gefüllt
mit dem Schicksal all deiner Vergangenheit ist!

Deutscher, laß ab von der Klage! Denn siehe, was dir geschah, geschieht
deinen Vätern: deine Väter sind gegenwärtig in dir, weil dein Schicksal die
Wage des Guten und Bosen aus ihrer Vergangenheit ist.

Deutscher, sei ehrfürchtig deinen Großen- ob sie ihr Werk nur mühsam
vermochten gegen dein träges, törichtes Herz, ob sie hinrauschten wie Adler
oder mit gläubiger Einfalt durch deine taube Genügsamkeit gingen: alle
sind deine Väter, und alle sind gegenwärtig in dir!

Deutscher, sei deiner Vergangenheit trächtig, wie der Mittag von seinem
Morgen gefüllt ist; Tracht und Trotz all ihrer Männer, Tat und Gedanken
all ihres Schicksals bist du!

Deutscher, sei deiner Gegenwart tapfer, weil du der Erbhalter bist größerer
Dinge, als die an dem Tag Hängen: Gutes und Böses will werden, wie
Unkraut und Saat wird, und der Acker bist du!

Deutscher, sei gläubig der Zukunft, der du die bittere Gegenwart leidest:
Kinder und Kindeskinder, und alles, was über sie kommt, Stärke und
Schwäche, Demut und Stolz, tzoffart und Kleinmut, alles, was einmal deut-
scher Lebenstag wird, alles bist du!

Aus Platons ^Gastmahl"

sPlatons berühmtes „Gastmahl" ist eine dichterisch, halb dramatisch
gestaltete Philosophie der Liebe, des Eros. Freunde und Schüler des
Sokrates kommen bei Agathon zum Gelage zusammen, und reihum hält
man Reden über die Liebe. Als vorläufig letzter kommt Sokrates zu
Worte, der kurz vorher mit Agathon eine kleine Aussprache hatte. Weit
über die Reden der Andern hinausgehend feiert er den Eros als den
großen Dämon, der das Weltall bindet, und als die zeugende und aufwärts
treibende Kraft des Geistes. In einer Art Bescheidenheit führt er seine
Rede ein, als Wiedergabe von Lehren, die er selber erst von der weisen
Diotima empfangen habe. Das Gedankengut selber ist natürlich Platons
Eigentum. Die Stelle ist entnommen aus der Platon-Ausgabe, welche wir
in diesem tzeft anzeigen. K.-L.^

^A^ie Rede über den Eros, die ich einst hörte von Diotima, einer Frau
^D^aus Mantinea, weLche Hierin und in vielem andern weise war und den
Athenern, als sie gegen die Pest opferten, zehn Iahre Aufschub der
Krankheit bewirkte, welche denn auch mich die Dinge der Liebe lehrte, —
die Rede also, die jene mir sagte, will ich versuchen, euch wiederzugeben, von
dem ausgehend, worin ich mich mit Agathon einigte; ich selbst von mir aus,
so gut ich vermag.

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