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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 4 (Januarheft 1923)
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Ertl, E.: Von Roseggers Schaffen
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Kuntze, Friedrich: Diltheys gesammelte Schriften
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0178

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lichen Forrn, zu einer lebendigen Einheit, die Dir den Lindruck gibt,
als erlebtest Du alles von einern und demselben Standpunkt aus. — And
das ist die Kunst, durch die allein uns die amorphen und zerstreuten Wirk«
lichkeiten genießbar werden.

Das ist freilich so. Aber trotzdem will der Dichter, daß sein Buch narv
gelesen werde, d. h. daß der Leser die Form wohl unwillkürlich fühle,
aber sie nicht denke, daß er Herz und Sinn ganz dem Gehalte des Werkes
zuwende. — Mir ist es beim Schaffen doch nie eingefallen, mich zu fragen:
Wie sage ich das am schönsten, am feinsten und geistreichsten? Was stelle ich
dar, um meine Meisterschaft in Form und Stil anzubringen? — sondern der
Gegenstand zwingt mich zur Arbeit; und in zweiter Linie erst die Frage:
Wie mache ich's, um das, was darzustellen ist, am besten zu zeigen? Also,
die Form nur Mittel zum Zweck.

Der Stil als solcher kann gewiß auch seinen Reiz haben, und ein schlechter
Stil kann uns den besten Inhalt verleiden — s o wirst Du's gemeint haben,
und damit verlegst Du den Schwerpunkt schon auf den Inhalt, den eigentlichen
Zweck, zu dem die Form nur das Mittel ist.

Ist es wahr, daß der Literat mehr an die Form, der Dilettant mehr an
den Inhalt denkt? Es mag schon sein. Und Goethe war beides zugleich, be--
wußter Künstler und naiver Schöpfer. And das, glaube ich, ist die Stelle, wo

wir, Du und ich, einer Meinung sind."

(Graz, 25. März (9(6.)

Rnd dagegen wird sich dann auch nichts weiter einwenden lassen. Wenn
einer sich aufs Geschichtenerzählen versteht, wie Peter Rosegger sich darauf
verstand, so braucht er nicht „bewußter Künstler" zu sein; es genügt, wenn
er's unbewußt ist. Mit dem unwiderstehlichen Drange, die Fülle der inneren
Gesichte los zu werden, die die Brust beengten und dastzerz beängstigten,
kommen dann die Kunstregeln schon von selbst. Willenlos darf er sich der ein«
geborenen Führung überlassen, sein Werk wird das Leben zu finden wissen.

Form ist Wille, Inhalt das lebendige Leben selbst. Und so stark jener sein
mag, dieses ist doch noch gewaltiger. In diesem Sinne mag auch auf die
Fragen des künstlerischen Gestaltens ein Wort Anwendung finden, das Ro»
segger im letzten Iahre seines Lebens niederschrieb und das auch aus meinern
letzten Briefe an ihn, der erhalten ist (((. Iänner, (9(8), in irgend einem Zu«
sammenhang Widerklingt:

„Nicht der Wille ist schöpferisch, sondern das Verlangen der Stunde."

Diltheys gesammelte Schriften

„Der nur noch an seine Aufgabe denkende geheimnisvolle alte Mann" —
ich glaube mit dieser Kennzeichnung hat Hermann Aohl, als einer der tzer-
ausgeber von Diltheys gesammelten Schriften (Teubner), sehr zutreffend
den Lindruck beschrieben, den Diltheys Persönlichkeit damals auf uns junge
Studenten und Doktoren der Philosophie in Berlin machte. Von diesem
GeheimnisvolleN) der nur in Fragmenten sich mitteilte, verheißt also jetzt
der Teubner-Verlag ein ausführliches Bild — kann er es geben, und was
mag es für unser geistiges Leben bedeuten? — Personal geheimnisvoll war
er, der alte Mann mit dem wohlgepflegten weißen Spitzbart, wenn er im
Kolleg mit priesterlicher Feierlichkeit von den Visionen sprach, die in seinem
kongenialen Geiste die Fragmente des Anaximander und tzeraklit aufleuchk»
ten ließen, wenn er unseren erhitzten Diskussionen im Seminar gelassen und

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