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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 2 (Novemberheft 1923)
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Troeltsch, Ernst: Die Republik
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0136

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Grundsatz handeln auch die uns besuchenden Vertteter ber Angelsachsen,
die stets eine Liste der zu befragenden vertrauenswürdigen und prominenten
Personen mitbringen und auf momentane Massenmeinungen nichts geben.
Von dieser Seite her, meint Bryce, um zu ihm' zurückzukehren, komme her
tiefe rnoralische Charakter der Demokratie zur Geltung, die allerdings an
übersichtliche Wahlkreise, persönlichen Verkehr und Austausch, Herausbil-
dung von Führern und Hochschätzung von Gewissenhaftigkeit und Sach-
kunde gebunden sei, die aber doch eben auch in ihrem Ideal der Menschen-
rechte und ihrem ganzen engen Zusammenhang von Moral und Recht un-
verlierbare ethische und religiöse Vorzüge habe. Deshalb glaubt er auch
an ihren Fortbestand trotz unverkennbarer Erschütterung in den letzten
Iahren. Ökonomische und soziale Probleme haben sich vor die politischen
geschoben, die Gleichheitsidee sei entartet, der moralisch-religiöse Hinter-
grund verblaßt. Unternehmerkapitalismus und sozialistische Gegenorgani-
sation hätten die politischen Gewichte verschoben und die große imperiali-
stische Wachtpolitik habe sich mit den Massenleidenschaften verbündet. Lr
sieht alle diese Schwierigkeiten, erkennt aber nur im Sowjet-System einen
prinzipiellen Gegenentwurf. Er glaubt nicht an die Möglichkeit seiner Durch-
setzung und erwartet infolgedessen doch die Fortdauer demokratischer Ver-
fassungs- und Regierungskunst.

Nicht minder wichtig aber ist zu beobachten, wie sich überall das
Denken den von Bryce hervorgehobenen Problemen der ökonomischen Stö-
rungen des geordneten Verfassungslebens zuwendet. Keynes und H. G.
Wells, ebenso Nitti, Mac Kenna und Rathenau reden von der Notwen-
digkeit einer Welt-Planwirtschaft, die nicht ein politischer Völkerbund, son-
dern eine ökonomische Verständigung der Fachmänner und Unternehmungs-
leiter ist, zur Verteilung von Produkten, Absatz- und Rohstoffgebieten, nach
wirtschaftlichen Gründen der Ernährungsmöglichkeiten der Völker und nicht
nach politischen Macht- und Prestigebedürfnissen. Hand in tzand müsse das
gehen mit gewaltigen Fortschritten der Technik, der Mehrung der Produktion
und Gütererzeugung, der Steigerung der Arbeitsleistung und dem Ersatz
von Menschenarbeit durch Maschinenarbeit. Weder Kolonisation und Aus-
beutung exotischer Länder, noch sozialistische Regulierung von Produktion
und Verteilung können das Problem lösen, nur Steigerung der Leistung,
der Gütermengen und geordnete Kooperation der verschiedenen Erzeugungs-
und Absatzgebiete. Das sei die Weltforderung der Stunde, die aber von
dernokratischen Staaten gelöst werden müsse. Auch der frühere Reichs-
rninister von Raurner hat in einern an der Darmstädter Weisheitsschule
gehaltenen Vortrag diese Gedanken vertreten.

Damit sind wir wieder bei den großen Problemen des Verhältnisses von
Politik und Wirtschaft. tzier liegt für die prinzipielle Besinnung in der
Tat einer der Knotenpunkte, und ohne eine Klärung hierin wird auch das
Problem der Republik in Deutschland nicht gelöst werden können.

Spardorf in Bayern, 7. Oktober Troeltsch

Vom Heute fürs Morgen

Das Bild

er Mann stand lange sinnend im
Tempel vor dem verschleierten Bilde
des Weibes.

„Alle sprechen von dir, Göttliche,
alle preisen dich — aber jeder in einer
anderen Sprache, und kaum zwei sind
sich eins. Rätselhafte du, Tausend-
 
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