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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1922)
DOI Artikel:
Liebscher, Artur: Vom rechten volkstümlichen Musizieren
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0023

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Vom rechten volkstümttchen Musizieren

ine Schar junger, über ganz Deutschland verstreut wohnender Leute

hat sich zu einer Musikergilde zusammengeschlossen. Sie ist aus der

Iugendbewegung herausgewachsen und will mit ihrer Arbeit zunächst
nur der Iugendbewegung dienen. Wer aber ihr erstes Iahrbuch zur tzand
nsmmt — es ist von Fritz Iöde herausgegeben und unter dem Titel Die
Musikergilde im Greifenverlag zu Rudolstadt i. Thür. erschienen
— der merkt) daß sich hier etwas anbahnt, was in seiner Bedeutung viel-
leicht über die Grenzen der Iugendbewegung beträchtlich hinausdringen
kann. Denn das Buch enthält außer den elf Zeilen seines Geleitwortes
zwar keinerlei Aufsätze, wie sie in Iahrbüchern üblich sind, auch nrchts
Näheres über Zweck, Ziel oder Arbeitsweise der Gilde, sondern nur musi^-
kalische Beiträge, wirkt aber gerade deswegen wie eine srische und über-
zeugende Propagandaschrift für eine neue volkstümliche Musikkultur, weil
es nur Beispiele ohne jede weitere Erklärung reden läßt. Lautenstücke sind
darunter, Sätze für verschiedene Instrumente in verschiedenarLiger Zusam-
menstellung, Gesänge für efne Singstimme m*it Laute und Geige, Chöre
ohne Begleitung oder in Verbindung mit Cello, Gambe, Bratsche usw.
Alles läßt sich ohne Schwierigkeiten besetzen, denn eins oder das andere
der Instrumente, unter denen die Wahl bleibt, ist immer zur tzand; und
ob eine Flöte oder eine Violine mitwirkt, oder ob die Bratsche durch die
Gambe ersetzt wird, aüf solche und ähnliche Dinge kömmt es bei diesex
Musik nicht an. Sondern darauf, daß etwas von dem Geist derer, die sie
schrieben, auch auf die Ausführenden übergeht. Leider gilt im allgemeinen
nach der landläufigen Auffassung immer noch das als volkstümlich', was
leirht ist, nach Inhalt und Form keine Ansprüche stellt und gefällig klingt.
So ist die bedenklichste Form der volkstümlichen Musik entstanden, die
Salonmusik, und so kommt es auch, daß das wiedererweckte Lautenspiel
im großen und ganzen über ein bißchen Akkordgeklimper noch nicht recht
hinausgekömmen ist. Nun enthalten die Stücke des Iahrbuches zwar keine
virtuose Musik, stellen aber doch mitunter einige Anforderungen an die
Spieler und bekämpfen so die Vorstellung, volkstümlich sei das Musizieren,
bei dem es auf Kunst und Können nicht weiter ankomme. Darum haben
sie wohl alle auch eine künstlerisch immerhin anspruchsvolle Form. Alte
Formen tauchen auf, das mehrsätzige Pastorale, das Duett mit zwei kon-
zertierenden Stimmen, die Invention nach Bachs Vorbild, die Choral-
variation usf. Es steckt Kraft in dieser Art zu musizieren, kerniges deutsches
Wesen. And das verbürgt schließlich seine Volkstümlichkeit. Denn man mag
die Erzeugnisse der musikalischen Moderne als Kunstleistungen noch so hoch
einsHätzen. Das eine wird man zugeben müssen: innere Kraft gehört nicht
zu rhren wesentlichen Charaktereigenschaften. Darum bleiben auch ihre
Aussichten auf eine künstlerische Beeinflussung des Volkes in seiner Ge-
samtheit bedenklich gering. Dieses verlangt nach einer Kunst, in der es
etwas von seinem eigenen Kräftegefühl spürt, und hatte bisher für sein
Musizieren abseits vom Klavier im wesentlichen nur das Volkslied. Nun
deuten in den Arbeiten der Mufikergilde beachtliche Zeichen auf einen
Weg, der recht wohl zu einer volkstümlichen mufikalischen Betätigung in
gehobener künstlerischer Form führen könnte. Die Stücke Haben stilistisch
alle eine ziemlich starke Ahnlichkeit miteinander und greifen mit der Er-
hebung der Selbständigkeit der Stimmen zum Ausdrucksprinzip ungefähr

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