Kunstwart und Kulturwart (36,1.1922-1923)

der Abwehr durch Werfen mit Steinen, welche bisher nur gelegentlich und
nebenber geübt wurde, in seine Entwicklung hinüber. Indem der Mensch
die Steinabwehrmethode auf seine weitere Entwicklung herrschenden Einflutz
gewinnen ließ, begab er sich unter das »Menschheitsprinzip«, nnter das
Entwicklungsprinzip der »Körperausschaltung«, wurde er aus dem Tiere
zum »Menschen«. Denn der Stein war das erste Werkzeug.

^?Xas Vorstehende ist PaulAlsb ergs Werk „Das Menschheitsrätsel"
^^entnommen (Sibyllen«Verlag, Dresden (922, 5(5 Seiten) und soll
auf dieses nachdrücklich hinweisen. Das Buch ist eine biologische Abstam-
mungslehre und darüber hinaus eine vom Ursprung des Menschtums bis
in die höchste Entfaltung der Geistigkeit hinein einheitlich durchgeführte
Theorie vom Menschen und seinem Wesensgesetz. Es ist breit und klar, unter
steter Auseinandersetzung mit den bekanntesten Lehren, geschrieben, nüchtern
ohne Glattheit, sachlich ohne Trockenheit, in gutem Gelehrtenstil. So wenig
wir mit allen einzelnen Aufstellungen und Folgerungen Alsbergs überein-
stimmen, so sern liegt es uns, sie hier zu kritisieren. Dazu würde es einer
langen Abhandlung bedürfen. Für Mcht-Fachleute liegt die Bedeutung
eines solchen Werks auch schlechterdings nicht im „Einzelnen", wozu der
Laie ohnehin nicht selbständig Stellung nehmen kann. Groß, auch für weite
Kreise, ift dagegen die prinzipielle Bedeutung solcher Werke. Es weitet
den Blick für alles Lebendige, für die zeitlichen und persönlichen Angelegen-
heiterr sogar, ermöglicht, einmal ganz große Zusammenhänge in geschlosse-
nem Bilde zu sehen, ein Abbild des Menschlichen schlechthin. Me umfaßt
ein Werk „alles". Kein Weltbild ist vollkommen. Aber wenn cin Werk mit
tzilfe weniger, doch wirklich fruchtbarer und leichtfaßlicher Grundbegriffe
wie Körperausschaltung, Werkzeugprinzip, Kampfprinzip und mit einiger
Anschaulichkeit nicht nur zehntausend Forschungergebnisse ordnet und über-
sehbar macht, sondern ein mächtiges und am Grunde liegendes Stück Welt
vereinheitlichender Schau nahebringt, so liegt darin allein eine geistige
Tat. Die Wissenschaft mag dann Einzelnes allmählich umstoßen und umfor-
men und langsam eine neue solche Tat vorbereiten; für das geistige Leben
verliert die erste nicht so bald an Lragweite. Lin Liniennetz ist damitmber-
die Welt geworfen, an dem wir unseren Standpunkt sinden können, selbst
wenn unsere eigene Batur nach einem völlig andern Bilde des Ganzen
verlangt. Welt ist im geistigen Bilde wieder einmal „geschaffen". Rnsre
Proben wolle man als kennzeichnende Früchte von einem aufmerksamen
Gang durch die Weltlandschaft Alsbergs einschätzen und dann den Gang
selbee antreten, wenn es die Leser nach mehr Ämblick und Einblick verlangt.

, - ^ K>L.

Gedichte von Walt Whitman

(Walt Whitman ist entdeckt! Ein deutscher Dichter hat ihn entdeckt.
Gespürt, geahnt, gerühmt, auf ihre Art „übersetzt" haben ihn schon
viele. Doch erst tzans Reisiger hat ihn entdeckt und erobert.* Es
ist eine Tat der Linfühlung und der Wiedergeburt. Eine ungewöhnliche,
tausendsältige Persönlichkeit von imponierendem Ausmaße hat sich dem
fremden Deutschen restlos erschlossen, und Dichtungen, die in lhrer eigenen

* Walt Whitmans Werk. 2 Bde. Ausgewählt, übertragen nnd ein-
geleitet von tz. Beistger; S. Fischer, Berlin (922.