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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 1 (Oktoberheft 1922)
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Vom Heute fürs Morgen
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0081

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StaatSdienst und PhiLosophie

e eingehender ich dies alles mit
prüfendem Blicke betrachtete und je
mehr ich an Iahren heranreifte, defto
mehr Bedenken stiegen in mir auf gegen
die Richtigkeit meines Borhabens, mich
derStaatsverwaltung zu widmen. Denn
einerseits, so sagte ich mir, ist die Bus-
führung eines solchen Planes nicht
möglich ohne die Hilfe von Freunden
und zuverlässigen Genossen — und solche
selbst aufzufinden unter meinen Be-
kannten war keine leichte Sache» denn
unser staatliches Leben bewegt sich nicht
mehr in den Formen der altväterischen
Sitten und Sinrichtungen, und neue zu
gewinnen war auch nur unter Aberwin«
dung großer Schwierigkeiten möglich
— anderseits war es schon vorbei mit
strenger Einhaltung von Gesetz und Her-
kommen, eine Erscheinung, die sich in
erstaunlichem Maße steigerte. War ich
also anfänglich auch ganz erfüllt von
dem Drang nach staatsmännischer Be--
tätigung, so wurde mir bei Betrachtung
dieser Zustände und dieses wirrenDurch--
einanders der Dinge schließlich ganz
schwindelig zumute. Dabei fuhr 'ich
zwar fort darüber nachzudenken, wie
sich in dieser Hinsicht und im gesam-
ten staatlichen Leben überhaupt ein Am»

schwung zum Besseren finden ließe, für
das eigene praktische Eingreifen wollte
ich aber auf den günstigen Zeitpunkt
warten. Schließlich aber kam ich zu der
Aberzeugung, daß alle jetzigen Staaten
samt und sonders politisch verwahrlost
sind, denn das ganze Gebiet der Gesetz-
gebung liegt in einem Zustand darnie-
der, der vhne eine ans Wunderbare
grenzende Veranstaltung im Bunde mit
einem glücklichen Zufall geradezu heil-
los ist. And so sah ich mich denn zu-
rückgedrängt auf die Pflege der echten
Philosophie, der ich nachrühmen konnte,
daß sie die Quelle der Erkenntnis ist
für alles, was im öffentlichen Leben
sowie für den Einzelnen als wahrhaft
gerecht zu gelten hat. Es wird also die
Menschheit, so erklärte ich, nicht eher
von ihren Leiden erlöst werden, bis
entweder die berufsmäßigen Vertreter
der echten und wahren Philosophie zur
Herrschaft im Staate gelangen oder bis
die Inhaber der Regierungsgewalt in
den Staaten infolge einer göttlichen
Fügung sich zur ernstlichen Beschäfti-
gung mit der echten Philosophie ent-
schließen. Platon*

* Bus Platons Briefen, übersetzt
von O. Bpelt (Meiner, L.).

Unsre Gedichte, Bilder und Noten

^?^as Gedicht „Fm Mondlicht" von Bvenarius veröffentlichen wir zum ersten
^2-^Male nach der Handschrist.

Die Gedichte von M. arianne Bruns (Breslau) sind ebenfalls nach der
Handschrift gedruckt. Wir werden von dieser Lyrikerin noch öfter Gedichte
veröffentlichen und dann mit einigen Begleitworten auf ihr Schaffen eingehen.

August Stramm, der im Kriege gefallen ist, gehörte zu den Dichtern
der „Sturm"-Gruppe. Seine Werke, meist Dramen, sind in drei Bänden im
Verlag Der Sturm in Berlin erschienen. Gesondert liegt uns außer dem Gedicht«
band „Tropfblut" noch der schmale Band Liebesgedichte „Du" vor, aus dem
Wir fünf Proben bringen. — Sotche Gedichte haben für Viele etwas Aber-
raschendes. Schon die Sprache befremdet sie; es ist in der Tat die eines „Be-
sessenen", der in dunklem D.rang über die Grenzen der überlieferten Dichtsprache
hinausstürmt; doch nur um den Preis mancher nicht endgültiger Neubildungen
wird überhaupt die Erweiterung des Sprachgules, das Erobern neuer Gefühls-
und Schauenskreise durch die Sprache möglich. Wir bitten die Leser,ganz vor-
urteilsfrel an diese Dichtungen heranzutreten; wer das tut und wer sie laut
und mit leidenschaftlicher Eindringlichkeit liest, wird ihren tiefen» echten Gehalt
gewiß erfühlen. Wir kommen bald auf Stramms dichterisches Schaffen zurück.
^Xrs Original des Bildes Kohlenbergwerk (Wasserfarbenmalerei) ist
^in den siebziger Iahren des vorigen Iahrhunderts entweder von einem
Kinde oder von einem Arbeiterdilettanten gemalt worden, also in einer Zeit,
als das Genrehaste in der deutschen Malerei herrschte.

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