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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1923)
DOI Artikel:
Fuchs, Emil: Die Bergpredigt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0167

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Die Bergpredigt

o dir jemand einen Streich gibt auf den rechten Backen, dem biete
den andern auch dar". — „And so jemand mit dir rechten will und

deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel". —

Wir fühlen alle immer wieder die Lebensfragen, die in solchen Worten
an uns herantreten. Sie stammen aus der Bergpredigt, dieser Sammlung
„unmöglicher" Forderungen an den Menschen, die doch immer wieder mit
dem Anspruch zu gelten vor die Seele des Menschen treten, immer wieder
gebieterisch lebendig werden. Gerade in unserer Zeit fragt es sich brennen^
der als je, ob die Bergpredigt — oder die Katastrophe das letzte Wort be->
halten wird. Es ist eine Frage an den Willen des Menschen.

Hsttas ist die Bergpredigt? — Ietzt ein Teil des Evangeliums des Mat-
^^thäus. Arsprünglich ein kleines, selbständiges Büchlein der „Worte
Iesu" — die älteste Sammlung, in der jene aufsteigende, mutvolle Bewegung
des ersten Christentums sich und andern Rechenschaft gab über ihren Geist
und ihr Wesen. „Was sind wir anderes als Ihr?" Das ist die Frage der
Bergpredigt, inmitten einer Welt, die dem Christentum fern war und es zu»
gleich umgab.

Stammen diese Worte alle von Iesus? — Wir wissen es nicht. Wir
wissen so wenig ganz Zuverlässiges über ihn und sein Wirken, daß Zweifel
an jedem Worte immer wieder berechtigt ist. Wir haben keinen Grund zu
leugnen, daß Iesus von Nazareth lebte und unter Pontius Pilatus gekreuzigt
wurde. Darüber hinaus können wir immer wieder fragen: Was ist wirklich
von ihm? Was ist die gewaltige Bildung eines geistigen Zauberkreises, der
sich um seine Gestalt legte? — Gerade zu der Bergpredigt kann man sagen,
daß hier Worte sind, die völlig außerhalb des Gedankens von Lohn und
Strafe stehen, und daneben die Worte, die göttliche Belohnung verheißen,
Strafe drohen; Worte, die schlechterdings nicht als „Muß" von außen dem
Menschen verkündet werden können, neben anderen Worten, die jeder kirch*
lichen Pädagogik immer von je sehr willkommen gewesen sind, wie das von
der engen Pforte, vom Haus auf dem Felsen und dem Sande usw. Dennoch
wäre es kurzsichtig, daraus zu folgern: Also haben wir hier Worte Iesu
selbst und dort andere, die ihm später von der verkirchlichten Anhängerschaft
in den Mund gelegt wurden. Nein — viel Widersprüche sind im Geiste des


Ianrrarhest 1923 (XXXVI, 4)
 
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