Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1923)
DOI Artikel:
Fuchs, Emil: Selbstzerstörung der Kirche: zur preußischen Landeskirchenversammlung
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Ernst Troeltsch
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0290

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Spitze eingeführt. Von den andern deutschen Landeskirchen hat sich vor
allem Thüringen eine freiheitliche, volkskirchliche Verfassung gegeben. Aber
die Ansätze eines mutigern, glaubensvollern Eintretens in die geistige Le-
bensbewegung unsers Volkes sind rn großer Gefahr, vom Äbergewicht der
großen altpreußischen Landeskirche erdrückt zu werden. Deren ösfentliches
Wirken hat immer die öffentliche Meinung von der evangelrschen Kirche
bestimmt, und die andern Kirchen mußten die Lntfremdung mit entgelten,
die sie geschaffen hat. Es wird wieder so sein! Der deutsche Protestantismus
geht zunächst einer Zeit kirchlicher Zerklüftung und Entkräftung entgegen.
Hosfen wir, daß seine Lebenskräfte drese Not überwinden oder rn andern,
lebendigeren, frömmern und zukunftsmutigern Gestaltungen ihre Kraft für
die Entwicklung des deutschen Volkes zeigen. Emil Fuchs

Ernst Troeltsch s-

it Ernst Troeltsch ist ein Mann von solcher Bedeutung gestorben, daß

der Kunstwart versuchen müßte, ihn zu würdigen, auch wenn

^Lroeltsch niemals in besondrer Beziehung zu unserm Blatte ge-
standelr hätte. Aber es lag ja anders. Äber Troeltsch als Forscher und
Denker zu reden, behält sich unsre Zeitschrift vor. Ihm als tzelfer und
Mitarbeiter ein Wort des Dankes, des innigen Dankes nachzurufen, für
heute handelt es sich nur darum.

Was nach Goethes Mephistopheles vom Teufel gilt, gilt von jedem Gei-
stigen Großmaßes: „das Völkchen" merkt ihn nicht, und wenn er's „beim
Kragen^ hätte. Aber wir alle sind uns dessen nicht bewußt, wir meinen
immer wieder, wir wären die Ausnahmen: wir würden des,Dämonischen
bei überragenden Fähigkeiten gewahr, wir schon. And doch: mit den
breiten Massengewässern umspült auch unser Denken sie, mit den abge-
lagerten Aniformen aus alten Kammern meinen wir ihre Stellung und
ihren Wert einkleiden zu können, und so kommen wir mit Worten wie konser-
vativ oder liberal oder sozialistisch oder international oder deutsch auch zu
Geistern, die Schöpfer und schon als solche zunächst einmal Einglüher, Ein-
schmelzer des Festgegossenen zum Rohstoff fürs neue Formen sind. Troeltsch
war Einschmelzer und Beugießer, auch als Abgeordneter und Staatssekre-
tär, auch in der Politik. Aber der Geniale hatte im Gegensatze zuj seinem
früheren Freunde Max Weber nichts Ilnausgeglichenes, nichts Geniali-
sches an und in sich. Iedes kleinste Zufalls-Erlebnis könnte ihm einen
Samen in den Geist werfen, der aufging, aber in nichts verließ er sich auf
den Zufall. Wie hat Troeltsch gesucht! Auch als Politiker: wo die
tzunderttausende, wo sogar die jüngsten Leute sich einbilden, sie wüßten
wie die Fragen liegen, und dürften aus diesem ihnen Gott weiß wie gekom-
menen „Wissen" Folgerungen ziehen, und wär's bis zum Ermorden —
wie hat da dieser Mann, der in die politische Arbeit schon als eine euro-
päische Berühmtheit, ja als eine Weltberühmtheit eintrat, oor allem und
immer wieder aufs Äeue gelernt, wie hat da dieser Geheimrat-Professpr
studiert, wie hat da dieser von oben Äberschauende auf der Erde und
in ihren Tiefen gearbeitet!

Troeltsch war aber auch ein zielbewußter Anreger und Ermuti-
g er. Als er vom Kunstwart zu meinem SechZigsten als vom „getreuen
Eckart der Deutschen" gesprochen hatte, bekannte ich ihm einmal meine Sor-
gen: die Sache geböte die Erweiterung über „nur Kunst" hinans, aber würde

2^8
 
Annotationen