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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 5 (Februarheft 1923)
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Whitman, Walt: Gedichte von Walt Whitman
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Schumann, Wolfgang: Tat twam asi: ein Wild-Afrika-Film
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0240

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Quacksalber sagt — „und bewahre es auf^.) Geh und setze dich in Linen
Hain oder Wald zu einem oder mehreren dieser stummen Lefahrten und
lies das Gesagte und denke nach.

Line Lehre, die die Berschwisterung mit einem Baum — vielleicht
überhaupr die größte moralische Lehre, die Erde, Felsen und Tiere uns
geberr können, ist eoen diese Lehre des Gigenwesens, des Seins ohne die
geringste Rücksicht auf das, was der Zuschauer (der Kritiker) meint oder
sagt und ob es ihm gefällt oder nicht. Welche schlimmere, welche verbreite-
tere Krankheit durchseucht uns alle, unsere Literatur, unsere Erzrehung,
unser Verhalten zueinander (ja zu uns selbst), als eine ungesunde Sorge
um den Schein (noch dazu meist ganz flüchtigen Schein)? Und gleich-
zeitig kümmern wir uns gar nicht oder kaum um die gesunden, langsam
reisenden, überdauernden, wirklichen Seiten von Charakter, Büchern,
Freundschaft, Ehe — die unsichtbaren Grundlagen und Haften oer Mensch--
heit! (Denn die gemeinsame Basis, der Nerv, der große Sympathikus,
das Plenum der Menschheit, das jedem Dinge sein Gepräge gibt, ist not-'
wendigerweise unsichtbar.)

Tat twam asi

Ein Wild-Afrika-Film

^L^s ist ein schwedischer Film: „spannend und lehrreich^, wie man sagt.
^F^Die asrikanische Großtier-Welt, Weger und Massai-Stämme im be-
^^wegten Bild; aussterbende Lrdgeschöpfe.

Es ist „spannend und lehrreich", die Zuschauer zu beobachten. Da ist
ein Schüler. Die einzelnen Dinge reizen ihn, er lernt: etwas über den Pa^
vian und etwas über die Haartracht der Kikuju, und daß die kleinen Vögel
auf den großen wilden Tieren fröhlich herumsitzen und sie unbehelligt von
Insektenplagen befreien, wie Rizinus--Öl bereitet wird, und wie kriegerische
Länze der „Wilden" aussehen. Seine Welt ist ein Atlas mit vielen weißen
Flecken, fröhlich und begierig trägt er neu Erkanntes ein und zieht unter
heiteren Reden Linien von da zum schon Bekannten. Auf dem Wege des
Wissenstriebes schreitet er rüstig empor.

Da ist ein Reifer. Kulturmensch. Luropäer. Selbstgewiß und gescheit.
Auf dem Wege des Wissenstriebes dem Rachbarn um zwanzig Lernjahre
voraus. Die. Buntheit freut ihn. Frohe Witze kommen von seinen Lippen,
als er die Neger vor dem Rashorn flüchten und die sinnlich^erregten Massai-
Weiber tanzen sieht. Und schön dünkt ihn diese Welt, so.schön, so reich.
Nicht unbekannt, o, er weiß mancherlei, von Freunden! sie haben mit der
Büchse Krokodile erlegt, wie deren eins sich vor seinem Auge wild rm Wasser
überschlägt. Und aus Büchern! vom Wachtposten^ den die Paviane ausstellen
wie die Menschen im Krieg. Klug sind sie, diese Viecher, wenn sie nur nicht
so widerlich wären. Nun scharen sich Geier um die Zebraleiche; im Nu ist
sie zerfleischt, und der Schwarm von Raubvögeln und Schakalen, eben noch
in wilder Gier durcheinanderwirrend, verfliegt und — badet sich... fast be-
haglich ist es zu schauen, das bunte Bilderbuch^, uralt, seit der frohen Iu«
gend so oder so bekannt, doch ewig neu. „Welch schöne Fülle! welch gläru-
zender Film". Ia, die Schweden! ..

Da sitzt eine Dreißigerin. Proletarierin. Schwester, warum verstummt
dein Herz, dein Mund? Warum wird dein Auge matt, indes der Sinn
sich mühsam regt, der bunten Folge nachregt? Ist dir diese Welt stumm?

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