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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 6 (Märzheft 1923)
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Bildnerei der Geisteskranken
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Schumann, Wolfgang: Rätsel Frau
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0278

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den Einblick in das seelische Triebwerk. Daß er reife Anschauungen über
Kunst und Künstlerturn, daß er Vorsicht, Feinblick, lebendiges Kunstgefühl,
reiche sprachliche Ausdruckfähigkeit, logische Klarheit und philosophische
Denkweite mitbringt, ist ein unerhörter Glücksfall. Dadurch wird sein Buch
zu einenr unvergleichlichen „Lehrbuch der Psychologie des Schaffens", welches
gleich ersichtlich macht das Wenige, was wir etwa „wissen", ,wie das Viele,
was wir bestimmt nicht wissen oder nur einigermaßen vermuten können.
Daß sein Buch sogar dem Verständnis des gebildeten Nicht^Fachmanns
zugänglich ist, rechtfertigt insbesondere unseren ausführlichen tzinweis
darauf. .

^ berwältigend springt aus Prinzhorns Darlegungen hervor die Gewiß-
^heit, wie künstlerisches Schaffen im Ausdrucktrieb seine einigende große
Ouelle hat. In jenem „dunkeln triebhaften Drang, der an sich keine eigene
Form der Entladung besitzt", vielmehr „darauf angewiesen^ ist, „sich an-
derer triebhafter Außerungsweisen zu bedienen, die bereits auf bestimmte
Verwirklichungsarten angelegt sind". All diese anderen Außeruugsweisen
kommen im Treiben der Kranken vor; doch in aller Regel dem zentralen
Lrieb dienstbar. Dem Trieb eines Ichs, das sich will; nicht uur „die
schlicht erfaßte Umwelt", nicht den „äußeren Schein". Aber freilich, diese
grund-künstlerische tzaltung, welche den Kranken mit dem Künstler von
heute verbindet, ist beim Kranken bitter willenlos erlittene, zuweilen qual-
voll und lange bekämpfte Entfremdung von der Welt, beim heutigen Küustler
irgendwie Erkenntnis und Lntschluß, aus Aberdruß, Ekel oder geistiger
Ablehnung des überkommenen Verhältnisses zur Welt. Dort Ierfall mit
der Welt, tzerausfallen aus der Welt, Befreiung zwar, doch auch Ver-
strickung ins verlassene Ich; hier Zerfall des Weltgefühls, Suchen, Er-
krampfen eines neuen Weltgefühls, Befreiung zwar, doch schwerfällig „will-
kürliche" und ergierte, mit allen Folgen einer bewußten, allzu bewußten
inneren tzaltung, und Befreiung hinein ins Anbekannte, Fragwürdige,
Sehnsucht nach Inspiration, die sich vielleicht doch nie er-sehnen täßt, und
deren Inhalte und Gehalte keine Theorie und kein Wollen ersetzt. Eine
Befreiung, die zu bleibendem Werk also nur ur-großen Persönlichkeiten
dienen mag.

Mtt solchen Gedankengängen endet Prinzhorn, so die besondere, zum
Teil fachliche Erkenntnis wendend und Hinüberleitend in zeitliche, über-
zeitliche und allumfassende, wie es der Sinn jeder lebendigen Geistes-
arbeit ist. K. W. tz.

Rätsel Frau")

Von Wolfgang Schumann

^v us deines tzerzens Kerker springt ein Löwe,

^Ein Tiger giert, ein Affe fletscht hervor,

Ein Pfau entbreitet stolz das Märchenrad
And wandelt fremd dahin. Mit scheuem Auge
Verstiebt ins Feld einer Gazelle Leib,

Ein Schwalbe.nzug entschießt ins Blau,

And eine Lerche schwingt sich hinterdrein,

Ein Pudelschelm reicht willig seine Pfote

*) Wir bitten, die Nachweise und Besprechungen über diese losen Proben zu
beachten, die wir am Schluß dieses Heftes bringen.

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