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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 3 (Dezemberheft 1922)
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Fischer, Eugen Kurt: Novalis
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0160

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der Völkergeschicke. „Der echte Dichter ist allwissend, er rst eine wirkliche
Welt im Kleinen . . . Des Dichters Reich sei die Welt in dem Fokus seines
Zeitgetriebes". Dieser Dichter ist kein ästhetischer Spieler, sondern ein ver-
antwortungbeschwerter Mensch, der die Poesie vorzüglich als strengen
Ernst und nicht als bloßen Genuß betrachtet. Die Dichter übertreiben nach
Novalis noch viel zu wenig, „sie wissen nicht, welche Kräfte ihnen untertan
sind, welche Welten ihnen gehorchen müssen". „Die Poesie ist das echte,
absolur Reelle." Ie poetischer, desto wahrer. Hier liegt das Problem der
ganzen romantischen Kunst. Sie ist Selbstzweck, ist ihr eigener und eigent«
lichster Gegenstand. Novalis geht sogar soweit, zu sagen, die Poesie sei die
eigentümliche Handlungsweise des menschlichen Geistes. Dieser Panpoetis-
mus ist die konsequenteste Form eines Harmonischen Weltbildes des Ein^
zelnen und Einzigen. Der ungeheure Irrtum seines Schöpfers besteht nur
darin, daß er glaubt, sich den übrigen mitteilen zu können und sogar so
etwas wie einen poetischen Staat schaffen zu können. Die Kultursehnfucht
der Romantik flüchtete sich in eine völlig weltfremde Kunst und Lräumte
von einenr kommenden Zeitalter, dem wir in Wahrheit immer serner rücken,
und das dennoch auch gerade heute wieder in vielen echten Künstlernaturen
als Sehnsuchtstraum liegt. Aller neue Asthetizismus, Romantizismus,
Symbolismus und j^ne Romane, die von einer Wiedervereinigung von
Kunst, Wissenschaft und Religion träumen, sprechen das Gleiche aus, was
Novalis anstrebte. Nur mit dem Auterschied, daß der Romantiker immer
wieder den Weg zurückfand zu der Ebene der Lechnizität, aus der heraus
für ihn die Kunst sich entwickeln soll, und zwar als ein gesetzmäßiger Vor-
gang, der nach Erkenntnis des Gesetzes sogar bewußt einzuleiten sei. Das
war das rationalistischeErbe derRomantiker, daß sie eineKultur schaf-
fen, die Kunst erlernbar machen und die Genialität organisieren wollten,
wie Lukacs einmal schreibt. Es sollte so werdeNi daß das Genie der natür-
liche Zustand des Menschen wäre.

Novalis ist der verstandesklarste Mystiker. In ihm offenbart sich die
einzige vollkommene Synthese von Mittelalter und neuester Zeit. Er ist
überall Dichter, Denker und Priester zugleich. Lesen, Lehren und Leben
quillt und mündet in eins. Er braucht das fertige Werk nicht, denn er ist
immer am Ziel. Ieder Satz, jedes kleinste Lied von ihm birgt ein Stück
seines Ichs und dieses Ich ist stete Gottesnähe. E. K. Fischer

Vom Heute fürs Morgen

Tat

berall um uns her, wo die Not
des fortschreitenden Zusammenbre-
chens laut wird und sich in Worten Lust
macht, hören wir immer wieder die
Sehnsucht und die Forderung na5) einer
erlösenden, alles in neue Bahnen len-
kenden Äat. Die scheinbar verzweifelte
Lage erfordert eine Neugestaltung, so
umfassend und so großen Stiles, daß
der einflußlose Einzelne zunächst ver-
meintlich gar nichts beitragen kann,
sondern sich in sich selbst zurückzieht
und, fast glaubenslos, wartet, bis etwa
der große Augenblick herankommt.

Wohl, wir haben heute keinen Füh-
rer, auf den eine Äberzahl von uns
zutiefst vertrauensvoll hinblicken würde,
der mit dieser weiten inneren Macht
änderte, aus einheitlichem Geiste ent-
sprungene Maßnahmen durchführen
könnte. Anser Zustand bekommt dadurch
etwas von dem jenes Verirrten im
Walde, der bald hierhin, bald dorthin
läuft, immer wieder im Kreise, statt,
gleichgültig welche, eine einzige Rich-
tung zielbewußt festzuhalten.

Aber alles Warten auf eine Lat
ist falsch und nimmt unserem Leben
allen Sinn. Was sind denn „Laten"?
 
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