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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 1 (Oktoberheft 1922)
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Fuchs, Emil: Eine Woche in London
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Troeltsch, Ernst: Die Verösterreicherung: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0057

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jener andern Welt der angelsächsischen Weltherrschaft zunächst einmal inner«
lich ganz selbständig gegenübersteht. Sobald wir das aber tun, brauchen
wir die äußere Unterordnung nicht zu fürchten. Für ein Volk, das geistig
seine eigene Arbeit tut, wird sie nicht gefährlich werden. Rnd langsam
wächst aus dieser eigenen Arbeit der Völker die Ieit, wo es nicht mehr
Herr und Knecht — auch nicht im Völkerleben — gibt, sondern das Zusam»
menarbeiten freier Menschen und freier Völker.

^as aber war wohl für uns Deutsche das Größte jener Woche. Wir taten
^einen Blick in die gewaltige innere und äußere Geschlossenheit der angel«
sächsischen Welt. Wir fühlten ihr Unerschüttertsein. Wir fühlten ihr starkes,
ritterliches Pflichtgefühl für alle Schwachen. Wir fühlten den unendlichen
Vorsprung, den sie vor uns hat. Doch wir fühlten zugleich, daß wir eine
ganz eigene, unzerstörbare Aufgabe für uns und unsere Arbeit haben mitten
in der Zerbrochenheit und Zerstörung. — Wir bauen an einem Werk —
vielfach dem der Angelsachsen verwandt und doch unser eigenes, eigenartiges
— aus andern innern und äußern Bedingungen aufsteigend. — Wir schaffen
unsern eigenen Beitrag zum Menschheitsleben und deshalb stehen wir ganz
klar und frei neben ihnen — ohne Bitterkeit. Wer so fühlt, kann die Völ--
kerverständigung mit ihnen gemeinsam herbeizuführen suchen. Er weiß, daß
wir geistig stark genug sind, sie zu erreichen, ohne uns aufzugeben.

Emil Fuchs

Die Verösterreicherung

Berliner Brief

us dem Sommernachtstraum meiner Ferien, die ich wieder in meiner

bayrischen tzeimat zugebracht habe, finde ich mich zunächst nur schwer

^^in die Verworrenheiten, Furchtbarkeiten und Zukunftssorgen der
Lage zurück. Noch habe ich nicht genug erfahren, um einen Äberblick geben
zu können. Es muß bei einigen mehr oder minder zufälligen Streiflichtern
bleiben. Wieder in die Reparationskommission und infolgedessen in die
Verösterreicherung immer weiter hinein: das ist ohnedies deutlich genug.

Die tzauptsache ist die finanzielle Katastrophe, der Zusammenbruch der
deutschen Währung. Das empfand man auch in dem kleinen Dorfe des
Ferienaufenthaltes. Die Preise gingen auch dort sprunghaft von Tag
zu Tag mit dem Dollar, und die anwesenden paar Geschäftsleute ließen sich
täglich den Kursstand telefonieren, um völlig verzweifelte Kommentare
daran zu knüpfen: das war ja das Gespenst, das immer im tzintergrunde
stand und das jetzt in die gemeine Wirklichkeit eingetreten ist. Das Schei-
tern der Sanierungskonserenzen, die Ablehnung des Spruches der Bankier-
kommission durch Frankreich und die Erschütterung des Vertrauens in die
innere Sicherheit Deutschlands durch die Ermordung Rathenaus: das alles
zusammen hat das Gespenst in Realität verwandelt. Die Illusionen und
tzoffnungen, auch der Ausländer, sind zu Ende. Die Furchtbarkeit und
tzoffnungslosigkeit der Weltlage und der deutschen und mitteleuropäischen
insbesondere, ist heute Handgreiflich. Es ist eine sehr trübselige Genug«
tuung, daß ich heute sagen kann, ich hätte stets auf diesen Punkt als
den entscheidenden hingewiesen. Die Assignaten-Wirtschaft der französi-
schen Revolution ist durch die Weltkriege Napoleons und deren Gewinne
an Gut und Prestige liquidiert worden. Wir dagegen haben unsere Er-
sparnisse und unsere Substanz aufgebraucht und brauchen sie noch auf. Es ist
 
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