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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1922)
DOI Artikel:
Haës, K. W.: Frage an die Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0020

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Frage an die Künstler

AEuvor bitte ich euch eins) Freuude> wittert nicht Ironie, Heimliches Ant-
^<wortwissen und Aburteilen hinter meiner Frage. Sie ist nicht Maske
^^oder Form der Milderung für meinen Gedanken, sondern wirkliche,
ernstgemeinte Frage, auf die ich gültige Antwort nicht weiß. Ich bitte euch
um Antwort. Nicht Mr mich allein; ich weiß, daß eine überzeugende Antwort
auf meine Frage Tausende von Unruhe entlasten und manche vielleicht der
Kunst näherbringen könnte; auch solche sind darunter, die selbst die Frage
klar zu stellen noch nicht imstande waren.

Im vierten LebensjahrzehnL stehend, erinnere ich mich sehr gut der großen
und kleinen Kunstausstellungen, die ich als Knabe und Reifender tange
und aufmerksam sah. Ich erinnere mich nicht an viele Namen, doch an viele
Gemälde. Längst nicht alle, doch eine erkleckliche Zahl davon stehen so vor
meinem Gedächtnis: sie Maren gemalte Teile einer Schau, welche das Ganze
zu umfassen schieN) irgendwann einmal umfaßt hatte oder mindestens zu
umfassen strebte. Teile vom Weltbild des 'Malers, und weil >sie dies
waren, waren sie — bescheidne Wahrheit künd' ich euch! — „Ganze". Rnd
sie waren zuweilen auch Bekenntnisse, indem sie zugleich Abbilder waren,
Bekenntnisse eines vollen, fühlend-sinnend-wollenden Ichs, und insofern
Ausdruck eines Ganzen. Auch wenn nur ein Gefühl, eine Leidenschaft
sie durchschwang, in ihr drückte sich die Ganzheit der schaffenden Persön-
lichkeit aus. Ich sage nicht, daß jene Teile oder gar die daraus fühlbaren
Weltbilder, ich sage ebensowenig, daß der Ausdruck von Persönlichem darin
bedeutend oder erschütternd waren; aber der Zug zur Ganzheit isprach aus
ihnen.

Ich hatte begriffen, daß bildende Kunst wie Dichtung und Musik Spiegel
und Abbild der Welt und all ihrer Tiefen, ihres Sinns und ihrer Gewalten,
Spiegel und Abbild von tzimmel, Erde 'und tzölle sein kann. Durchgeistetes
Abbild und damit auch Bekenntnis und Ausdruck eines Ganzen. Rnd war
ich nicht berechtigt, zu fordern: wenn sie es fein könne, dann solle sie es
auch sein?

Danach ging ich andere Wege. Ich schritt beseligt durch !die Hallen der
Antike, mein Herz kniete vor Michelangelos Unendlichkeit, es jauchzte vor
Giorgiones Süße, es schrie vor Rubens' Prächten und weinte vor Rem-
brandts durchlittenen Rätseltiefen. Mit Feuerbach erblickte ich die Welt
der Einsamen scheuen Blutes, mit Segantini trat ich in die feierlich-heitere
Welt der Reinem nnd Ratürlichem Hingegebenen, mit Klimt in die zerris-
sene eines Heutigen aus der Großstadt. — Immer waren es Welten, die
ich schauen durfte in ausgearbeiteten Werken,' mochten sie großer oder kleiner
Vedeutung, mit großem oder beschränktem Können ausgeführt sein.

Als ich zur Kunst der Zeit zurückkehrte, begegnete ich — der Skizze.
„Zu meiner Zeit", wie die alten Leute sagen, hatte man auch wohl Skizzen
ausgestellt; voy anerkannLen Meistern, nach ihrem Tode etwa,- auch Von
EinzelneN) deren besondere Stärke im raschen Notieren lag; vielleicht auch
sonst noch einmal, dann und wann. Nun aber Herrschte die Skizze.
Wappen und Wände, Zimmer, Säle, ganze Ausstellungen voll von Skizzen,
Notizen und Momentbildern, Einfälle, Aper^us, ExperimenLe, Scherzos, An-
deutungen; Arme, Beine, Bärte, Schamteile, Äste, Früchte, Schatten, Be-
leuchtungeffekte, Tierbewegungen, Proportionen, Erinnerungen — tausen-
derlei! Es war — laßt mich der Deutlichkeit wegen ein weuig übertreiben
 
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