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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1923)
DOI Artikel:
Fuchs, Emil: Selbstzerstörung der Kirche: zur preußischen Landeskirchenversammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0287

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Selbstzerstörrmg der Kirche

Zur preutzischen Landeskirchenversarnmlung

m 29. September t922 fiel in Berlin eine Entscheidung, Oie für die

geistige Geschichte des deutschen Volkes eine viel größere Bedeutung

hat, als die geringe Aufmerksamkeit ahnen läßt, welche ihr die Öffent--
lichkeit entgegenbringt. Von der Kirche hat man sich gewöhnt allerlei un-
verständliche Merkwürdigkeiten gleichgültig zu vernehmen. Daß auch hier
ein Stück der Einheit, des protestantifchen Volksteils zum Opfer der Kurz^-
sichtigkeit und Enge wird, bemerken wir nicht. Wir wundern uns nur,
warum unser Volk immer zerrissener wird, warum wir einander immer
weniger verstehen — und haben nicht das geringste Verantwortungsgefühl
für die Gebilde, in denen diese Einheit gepflegt wurde und aus den Ouellen
des Tiefsten, Geistigen fich immer wieder erneuern müßte. — Die Kirchen
sind die Träger der alten, ererbten Ehrfurchtsgefühle und der Formen und
Gedanken, in denen unsere Väter diese Ehrfurchtsgefühle gestaltet, aus-
gesprochen haben. Aus den Ehrfurchtsgefühlen aber steigen die seelischen
Forderungen an Mensch und Leben herauf. Sind sie gemeinsaMi fo gibt
es gemeinsamen sittlichen Geist in der Arbeit, das Leben zu bezwingen,
sind sie grundverschieden, so entstehen die unüberbrückbaren Gegensätze.

Wichtig ist es deshalb auch daß das Wachsen und Sich-Wandeln der
Ehrfurchtsgefühle stetig geschehe, daß dieselben alten GemeinschafteN) die
sie aus der Vergangenheit tragen, nun ihr Wachstum, ihr Sich-Vertiefen
mitmachen und so langsam, aber stetig alle Volkskreise im selben Flusse
des sittlichen Werdens stehen. Wir stehen Heute in einer Entwicklung) die
das Wertgefühl für den Menschen, seine Selbständigkeit, Freiheit und
schaffende Kraft gewaltig und stark emporträgt. Ererbt ist eine Stimmung,
in der die Anterordnung des Einzelnen unter die die Gesamtheit repräsen-
tierenden Autoritäten das tzöchste war.

Daß beides recht verstanden sich ergänzen muß, ist jedem Einsich--
tigen klar. Warum kann es bei uns nicht dies Sichergänzen finden?
Warum die schroffe Abwendung aller fortschrittlichen Kreise vom Aber--
lieferten und woher die Rnfähigkeit aller im Banne des Äberlieferten
Stehenden, die Notwendigkeit des sittlichen Fortschrittes zu begreifen? —
Die Träger der ererbten Ehrfurchtsgefühle haben mit der ererbten Auto-
rität den Mißbrauch dieser Autorität zur tzerrschaft bestimmter Volksgruppen
über andere gedeckt. Die fortschrittlichen Kreise haben daraus einen blin-
den tzaß gesogen, der sie unfähig macht, das Notwendige an jener Ehrfurcht
zu erkennen, das notwendig bleibt, selbst wenn aller blinde Gehorsam fällt.

And nun zur preußischen Kirchenverfassung vom 29. September.

^iese Verfassung läßt die gesetzgebende Kirchenversammlung hervorgehen
^aus den Provinzialsynoden. Diese wählen aus sich die oberste Synode.
Der Oberkirchenrat schlug vor, die oberste Synode unmittelbar von den
Kirchgemeindevertretungen wählen zu lassen. Nur wenige „Radikale"
glaubten, die Kirche könne nur dann ihrer gesetzgebenden Körperschaft
die Autorität und Volkstümlichkeit geben, wenn sie diese, wie etwa die
thüringische Kirche, aus Arwahlen aller ihrer Glieder hervorgehen ließe.
— Die verfassunggebende Kirchenversammlung hatte noch nicht einmal so
viel Vertrauen zu ihren Kirchengliedern wie der Oberkirchenrat. Es werden
also jetzt von den Gemeinden ihre lokalen Kirchgemeindekörperschaften
gewählt. Diese — in denen die Pastorenschaft schon einen sehr entscheiden-

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