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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI issue:
Heft 6 (Märzheft 1923)
DOI article:
Epicurus: Über Leben und Lebensführung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0286

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einer Linladung zu kostbarer Bewirtung folgt, und macht uns furchtlos
gegen die Launen des Schicksals. Wenn wir also die Lust als das End»
ziel hinstellen, so meinen wir damit nicht die Lüste der Schlemmer und
solche, die in nichts als dem Genusse selbst bestehen, wie manche Ankundige
und manche Gegner oder auch absichtlich Mißverstehende meinen, sondern
das Freisein von körperlichem Schmerz und von Störung der Seelenruhe.
Denn nicht Trinkgelage mit daran sich anschließenden tollen Umzügen
machen das lustvolle Leben aus, auch nicht der Umgang mit schönen Knaben
und Weibern, auch nicht der Genuß von Fischen und sonstigen tzerrlich--
keiten, die eine prunkvolle Tafel bietet, sondern eine nüchterne Verständig-
keit, die sorgfältig den Gründen für Wählen und Meiden in jedem Falle
nachgeht und mit allen Wahnvorstellungen bricht, die den tzauptgrund
zur Störung der Seelenruhe abgeben.

Für alles dies ist Anfang und wichtigstes Gut die vernünftige Linsrcht,
daher steht die Linsicht an Wert auch noch über der Philosophie. Aus
ihr entspringen alle Tugenden. Sie lehrt, daß ein lustvolles Leben nicht
möglich ist ohne ein einsichtsvolles und sittliches und gerechtes Leben, und
ein einsichtsvolles, sittliches und gerechtes Leben nicht ohne ein lust-
volles. Denn die Tugenden sind mit dem lustvollen Leben aufs engste
verwachsen, und das lustvolle Leben ist von ihnen untrennbar. Denn wer
wäre deiner Meinung nach höher zu achten als der, der einem frommen
Götterglauben huldigt und dem Tode jederzeit furchtlos ins Auge schaut?
Der dem Lndziel der Natur nachgedacht hat und sich klar darüber ist,
daß im Reiche des Guten das Ziel sehr wohl zu erreichen und in ünsere
Gewalt zu bringen ist, und daß die schlimmsten Abel nur kurzdauernden
Schmerz mit sich führen? Der über das von gewissen Philosophen als
tzerrin über alles eingeführte allmächtige Verhängnis lacht und vielmehr
behauptet, daß einiges zwar infolge der Notwendigkeit entstehe, anderes
dagegen infolge des Zufalls und noch anderes durch uns selbst; denn die
Notwendigkeit herrscht unumschränkt, während der Zufall unstet und unser
Wille frei (herrenlos, d. i. nicht vom Schicksal abhängig) ist, da ihm
sowohl Tadel wie Lob folgen kann. (Denn es wäre besser, sich dem
Mythos von den Göttern anzuschließen als sich zum Sklaven der unbe-
dingten Notwendigkeit der Physiker zu machen; denn jener Mythos läßt
doch der tzoffnung Raum auf Erhörung durch die Götter als Belohnung
für die ihnen erwiesene Lhre, diese Notwendigkeit dagegen ist unerbittlich.)
Den Zufall aber hält der Weise weder für eine Gottheit, wie es der großen
Menge gefällt (denn Ordnungslosigkeit verträgt sich nicht mit der tzand-
iungsweise der Gottheit), noch auch für eine unstete Arsache (denn er
glaubt zwar, daß aus seiner tzand Gutes oder Schlimmes zu dem glück-
lichen Leben der Menschen beigetragen werde, daß aber von ihm nicht der
Grund gelegt werde zu einer erheblichen Fülle des Guten oder des
Schlimmen), denn er hält es für besser, bei hellem Verstande von Unglück
verfolgt als bei Unverstand vom Glücke begünstigt zu sein. Das beste
freilich ist es, wenn bei den Handlungen richtiges Urteil und glücklrche
Umstände sich zu gutem Lrfolge vereinigen.

Dies und dem Verwandtes laß dir Tag und Nacht durch den Kopf
gehen und ziehe auch deinesgleichen zu den Aberlegungen hinzu, dann
wirst du weder wachend noch schlafend dich beunruhigt fühlen, wirst
vielmehr wie ein Gott unter Menschen leben. Denn keinem sterblich-en
Wesen gleicht der Mensch, der inmitten unsterblicher Güter lebt.
 
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