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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 5 (Februarheft 1923)
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Ernst Kreidolf: zu seinem sechzigstem Geburttag
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Schumann, Wolfgang: Geistigkeit: fünfter Teil der Betrachtungen über die Antriebe des menschlichen Daseins
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0223

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den allein sprach Kreidolf von je. Sein Märchen, seine Schau knüpfte nie
an das in Gesellschaft« und Linzelleben Vergängliche, immer an ^Ewiges"
an. Dort an atmend-blühende, flügelnde, zeugende, sterbende, erstehende
Natur, an Pflanze, Blüte, Tier; hier an unsre liebevolle Lmpfänglichkeit für
das Zeitlose und Urgegebene. Nie war er Prophet, nie Lehrer, niel Ge-
dankendichter oder --maler, immer nur Mittler. Mittler zwischen uns und
dem Zeitlosen, das schon dem Kinde und noch dem Greis als sütze und
herbe Fülle beglückend offen und bereit liegt.

So schien er manches Gewaltige nicht zu umspannen. Die tausend
Anliegen des entwickelten Geistes, die Lntladungen leidenschaftlichen Mensch-
tums, die Dramatik der Triebe und Willenshandlungen, die schöpferischen
Mächte großen Schicksals. Ls mochte scheinen, er gehe als liebenswerter und
ein wenig eng begrenzter Einseitiger neben den Andern her. Doch —
„Alles Aeben die Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen ganz". Anter
Millionen ward Einem gegeben, Leiden und Freuden und Geheimnis <und
tzerz des wortlosen Geschaffenen allein zu erleben und dessen Mittler zu fein;
aber auch diese Gabe ward ganz verliehen, und seltsam: auch aus diesem
Spiege! grüßen heiße Entladungen, echte Dramatik, Rnentrinnbarkeit des
Schicksals und alle tzumore und Tragiken der Erde. Sie grüßen von fern,
vielleicht bohren sie sich nicht mit dem Pfeilgift ein und reichen nicht den
erschütternden Erlösungstrank, doch kein fühlendes Wesen verkennt sie.

So konnte es nicht überraschen, als die Kreidolf-Mappe des KunstwarLs
in Gestalt von Bildnissen, Phantasie-Gemälden und religiösen Bildern im
Iahre Zeugnis ablegte von einem Künstlertum Kreidolfs, das auch in
seiner thematischen Spannweite weit über Kindtümliches und Naturhaftes
hinausgriff. Allen diesen Werken eignet die gleiche Stille und Zurück--
haltung, die dem „Mittler" Kreidolf eingeboren ist. Seine Bildnisse geben
natürliche ErwachsenheiL von Menschen unzerrissenen, doch uicht leidlosen
Daseins. Seine Phantasie wirkt Lächelndes und Wehmütiges und Weihe.
Seine Religion ist Andacht und Einfühlung und geheimes Vissen. Alles
geben die Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen ganz. In seine
Bezirke gaben sie dem nun Sechzigjährigen Menschtum und Welterlebnis
mit allen Tieien, in aller Fülle, und die Auserwähltheit des Berufenen.

Geistigkeit

Fünfter Teil der Betrachtungen über die Antriebe des menschlichen

Daseins/

^I'l.gegeben als unentrinnbares Schicksal, als Teil des Lebens selber,
^lwelches sich will und, sich wollend, dahinflutet, ist der Wissens-
^^trieb. Menschtum ohne .ihn vermögen wir uns als echtes
Menschtum nicht vorzustellen. Gleichviel in welche geschichtliche Liefe, in
welche graue Vorzeit des tzordendaseins wir uns zurückdenken, gleichviel was
wir von jenem Dasein erforschen, es erscheint mit .dieser Waffe gerüstet, mit
dieser tzosfnung begabt.

In doppeltem Strahl entfaltet sich der Trieb, den wir gewohnt sind, in
besonderem Sinne den „geistigen" zu nennen. Forschende Neube-
gier dringt mit tausend Fragen auf die bunte Welt der Reize ein, wie
jedes Kind sie alltäglich wiederholt. Sie fragt: Warum? Wieso? Feindlich?

*) Die früheren Teile erschienen im Iuni°, August-, September« und Oktober-
heft 1922.
 
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