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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1923)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Sprechendes Kino: Filmvergangenheit und Filmzukunft
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Die Republik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0130

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eigentlich eine traurige Hilflosigkeit; und was man von hinter den Kulissen
hört, verrät noch mehr davon. Ich habe aus der Kino-Industrie gelegentlich
von Verlegenheiten und Unfähigkeiten gehört, die zum Lächeln waren; manch^-
mal ists mir gewesen, als könnte ich wohl den Leuten mit sehr wenig Auf-
wand ein gut Stück weiterhelsen. Sollte so endlich der Friede zwischen Ideal
und Geschäft angebahnt werden können?

Solche Gedanken legt die neue Erfindung nahe, welche eine neue Indu«
strie-Welle in Bewegung setzen wird. Industrie « Welle! Denn auch der
redende Film gerät, selbstverständlich, in die Hände derer, die wenigstens
Geld und Geschäftserfahrung haben. Wir werden neue Grauslichkeiten er-
leben. Und nach unserm glänzenden Mißerfolg mit der Kino-Reform dürfte
es eigentlich nicht so kommen, daß wir händeringend dastehen und über
den Theater-Ersatz den großen Kulturbann sprechen. Aber so wird es kom-
men, wenn wir nicht nüchtern und schaffend, sondern mit großen Worten
und feierlich distanzierenden Gebärden an die neue Möglichkeit herangehen.

Sch

Die Nepublik

^ Berliner Brief

/^-^on den beiden das letztemal erwähnten tzauptaktionen ist die das
Hdeutsche Moratorium betressende glücklicher verlaufen, als ich damals
angenommen habe. Hier scheint endlich ein bescheidener deutscher
Erfolg vorzuliegen. Freilich hat er auf den Stand des Dollars kaum einen
Einfluß ausgeübt und die fortwährende Preissteigerung nicht gehemmt. Das
kann niemand wundern, der die Hoffnungslosigkeit der durch den Versailler
Frieden geschaffenen Situation kennt. Sie macht eine Stabilisierung der
Mark unmöglich und zwingt den Privaten zur Selbsthilfe, d. h. zur Flucht
vor der deutschen Währung und zur Anschaffung fremder Devisen, den
Staat zu einer allmählich ins Phantastische gehenden Inflation, mit der
allein er seine Beamten einigermaßen über dem Niveau des Verhungerns
und der Proletarisierung halten kann. So helfen derartige Atempausen
wenig, sie geben nur Frist zur Ausdenkung und Propagierung neuer Ret«
tungsaktronen. In solchen Fristen muß die Klarheit entstehen, daß der Ver-
sailler Vertrag die Wurzel des Äbels ist und daß nur eine durchgreifende
Aktion Amerikas, die die interalliierten Schulden und die deutschen Repa-
rationen zugleich betrifft, einige Ordnung schasfen kann, wenn das heute
überhaupt noch möglich ist.

Die andere große Hauptaktion, der türkische Sieg über die Griechen, ent-
faltet die Wirkungen, die ich damals angedeutet habe, in einem immer stär-
keren Maße. Ein Diplomat nannte diesen Krieg einen Prokura-Krieg, den
England und Frankreich bereits miteinander geführt Hätten, indem die
Türken mit französischen und die Griechen mit englischen Kanonen schossen.
Die Türken und die Russen sind die einzigen Völker, dre der Versailler
Staatskunst einen erfolgreichen Widerstand bis jetzt leisten konnten und von
denen aus sich dieses frivole Werk des Leichtsinns und raffinierter Aus-
saugungspolitik aufrollen wird. Beide Völker sind agrarische und rein bin-
nenländische Völker, denen Geographie, sozialer Zustand und ererbte Wider-
standskraft den wirksamen Einspruch ermöglichen und die zugleich das Ster-
ben von Tausenden und Millionen vertragen können, ohne nervös zu wer-
den und ohne die Geduld zu verlieren. Sie haben Zeit und können endlos
Krieg führen. Von ihnen aus wird auf die Dauer die ganze europäische
 
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